Beim Bau von Marineschiffen ist die Zeitenwende längst Realität

In Kiel wird das U-Boot „Inimitable“ für die Marine von Singapur getauft. Der Auftragsbestand der deutschen Werftindustrie für Kriegsschiffe ist mittlerweile deutlich größer als der des zivilen Schiffbaus.

beim bau von marineschiffen ist die zeitenwende längst realität

Taufe des U-Boots „Inimitable“ Olaf Preuß

Die „Inimitable“ steht auf stählernen Pallen auf dem Kai der Kieler Werft von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Ein wenig täuscht der Name des neuen U-Boots, den das Kriegsschiff an diesem kalten Morgen nach einem kurzen Schneefall gleich erhalten wird. Denn die „Unnachahmliche“ mit ihren 70 Metern Länge und 2000 Tonnen Wasserverdrängung bei Überwasserfahrt ist das vierte von vier Schwesterschiffen für die Marine von Singapur. Die „Invincible“, die „Impeccable“ und die „Illustrious“ sind bereits fertig, die „Invincible“ ist abgeliefert, die beiden anderen Boote sind in der Testphase.

Als diese vier Boote und ein dazu gehörendes Trainingscenter im Jahr 2013 und 2017 bestellt wurden, galt der Export von Kriegsgerät in Deutschland als anrüchig. Doch inzwischen hat sich die Welt dramatisch verändert. Im Osten Europas stiftet Russland Krieg, Mord und Totschlag, im Westen erzittert die Demokratie der USA unter Populismus und Spaltung. Und niemand vermag einzuschätzen, ob sich China durch Russlands Vernichtungskrieg in der Ukraine nicht ermutigt fühlt, seinerseits den Inselstaat Taiwan zu überfallen und ihn das an Festland „anzuschließen“.

beim bau von marineschiffen ist die zeitenwende längst realität

Bundesverteidungungminister Boris Pistorius (SPD) bei der Taufe des U-Bootes „Inimitable“ bei TKMS in Kiel dpa

Deshalb kommen zu einer Taufe eines solchen Export-U-Bootes mittlerweile nicht nur die Vertreter des Bestellerlandes und der Deutschen Marine. Diesmal ist auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit dabei, Ende 2022 war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei TKMS in Kiel, als ein U-Boot für Singapur getauft wurde. „Dies ist kein Signal gegen irgendjemanden“, sagt Pistorius mit Blick auf die inzwischen komplexere Sicherheitslage auch im Indopazifik und auf die engen sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Verbindungen zum autoritär regierten Stadtstaat Singapur, der kein Mitglied der Nato ist. „Wir sind bereit, die regelbasierte internationale Ordnung zu schützen. Um mehr geht es hier nicht.“ Doch das ist sehr viel.

Teo Chee Hean, Singapurs Minister für die Nationale Sicherheit, erinnert in seiner kurzen Ansprache daran, dass rund 90.000 Handelsschiffe jährlich die Malakkastraße und den Hafen von Singapur passieren, das entspricht etwa einem Drittel des Welthandelsvolumens. Auch er hebt die enge Kooperation mit Deutschland unter anderem bei Rüstungsprojekten hervor. Regelmäßig entsendet die Deutsche Marine mittlerweile Fregatten in die Region, um dort Flagge für die freie Schiffbarkeit der Meere zu zeigen. Um 10.28 Uhr gibt seine Tochter Teo See Lian, die Taufpatin der „Inimitable“, dem U-Boot seinen Namen. Im Jahr 2025 soll es, nach den nötigen Tests, an die Marine von Singapur übergeben werden.

Im deutschen Schiffbau ist die von Kanzler Scholz nach dem Beginn des Ukrainekrieges ausgerufene „Zeitenwende“ längst Realität – schon rein wirtschaftlich ist der Bau von Kampfschiffen und unterstützenden Einheiten mittlerweile wesentlich umfangreicher als der zivile Schiffbau – und das noch ohne die Auswirkungen des Ukrainekrieges, der Ende Februar 2022 begonnen hatte. Neue Fregatten des Typs F127 müssen in absehbarer Zeit für die Deutsche Marine bestellt werden, auch U-Boote und ferngesteuerte Über- und Unterwasserfahrzeuge. Hinzu kommt die Aufrüstung vieler anderer Marinen in Europa und in befreundeten Staaten, bei deren Projekten sich ThyssenKrupp Marine Systems und andere deutsche Werftunternehmen bewerben.

Der Auftragsbestand allein von ThyssenKrupp Marine Systems mit dessen Bremer Tochterunternehmen Atlas Elektronik umfasste Ende September 2023 rund 12,6 Milliarden Euro. Hinzu kommen die nicht öffentlich bekannten Auftragsbestände von Naval Vessels Lürssen (NVL) in Bremen, das vor allem Überwasser-Marineschiffe für die Deutsche Marine und für den Export baut, zumeist in Kooperation mit TKMS. Nicht bekannt ist auch die Größe der Orderbücher von German Naval Yards in Kiel. Beim Bau zweier Marinetanker für die Deutsche Marine wiederum arbeitet NVL mit der Papenburger Meyer Werft zusammen.

Zum Vergleich: Insgesamt 10,9 Milliarden Euro Auftragsvolumen registrierte der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) zu Ende 2022 für den gesamten zivilen Schiffbau in Deutschland, der unter anderem Kreuzfahrtschiffe von der Meyer Werft und Superyachten von Lürssen, Nobiskrug und Abeking & Rasmussen umfasst.

„Überaus befriedigend“ nennt TKMS seinen eigenen Auftragsbestand. Größere Neubauverträge gibt es mit den Marinen in Deutschland, Norwegen, Israel, der Türkei, in Brasilien sowie in Ländern Nordafrikas und Südostasiens. „Der Auftragseingang war im abgelaufenen Geschäftsjahr geprägt durch starke Auftragseingänge bei Naval Electronics und Services sowie Erweiterungen laufender Aufträge im Neubau“, teilt TKMS auf Anfrage mit. „Hochvolumige, neue Neubauaufträge konnten nicht verbucht werden, sodass der Auftragseingang mit rund 0,9 Mrd Euro unter Vorjahresniveau blieb.“

Allein rund 4,5 Milliarden Euro umfasste der jetzt nahezu abgearbeitete Auftrag für die vier U-Boote und das Trainingszentrum für Singapur, sagte TKMS-Chef Oliver Burkhard der WELT. „Alles, was man 2013 und 2017 an Top-Technologie für nicht-nuklear-getriebene U-Boote bestellen konnte, ist in diesen Booten verbaut.“ Aktuell seien es „die modernsten U-Boote dieser Art weltweit“.

Verteidigungsminister Pistorius sagte, ohne TKMS und die größte deutsche Werft in Kiel „wäre das alles nicht denkbar“. Doch ausgerechnet die Zukunft von TKMS bleibt zunächst weiter unklar. Der Essener Stahl- und Technologiekonzern ThyssenKrupp will sein Marinerüstungsunternehmen verkaufen, vor allem aus Geldnot. Der US-Finanzinvestor Carlyle wird möglicherweise eine Mehrheit an TKMS erwerben und prüft derzeit die Bücher des Unternehmens im Rahmen einer sogenannten „Due Diligence“. Man erwarte ein Ergebnis dieser Gespräche und Verhandlungen bis Mitte Mai, sagte TKMS-Chef Burkhard.

Dringend allerdings ist TKMS auch an einem Einstieg des Bundes interessiert, mit einer Sperrminorität von mindestens 25,1 Prozent. TKMS braucht die Bonität der öffentlichen Hand, um künftige Großaufträge realisieren zu können. Auch die Gewerkschaft IG Metall fordert einen Einstieg des Bundes, um das strategisch wichtige Unternehmen und seine Arbeitsplätze langfristig für Deutschland zu sichern. „Wir sind interessiert an einem Einstieg“, sagte Pistorius, „aber die Prüfungen laufen noch.“

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World