Hohe Kita-Kosten: Der Preis, in München ein Kind zu haben

hohe kita-kosten: der preis, in münchen ein kind zu haben

Unbezahlbar? Demonstrierende Mütter am 21. Februar 2024 auf dem Odeonsplatz in München. Sie befürchteten explodierende Kita-Kosten.

Das Leben in München ist teuer, 25 Prozent teurer als im deutschen Durchschnitt, wenn man die Kosten für das Wohnen einrechnet. Damit steht die Stadt bundesweit an der Spitze. Das stellt nicht nur Familien mit niedrigen Einkommen vor Probleme, sondern auch immer stärker solche aus der Mittelschicht.

Besonders unter Druck stehen derzeit Hunderte Familien, deren Kinder einen Krippenplatz an gewerblichen Kitas haben – und das nicht, weil sie sich eine besondere Betreuung oder Förderung wünschen, sondern weil sie an anderen Einrichtungen schlicht keinen Platz bekommen haben.

Bislang profitierten diese Eltern von der sogenannten Münchner Förderformel, einem Zuschusssystem, das die Kosten für die Krippenplätze niedrig hielt. Doch von September an müssen sie statt des bisherigen Beitrags von etwa 200 Euro je Monat womöglich das bis zu Fünffache zahlen. Denn die Stadt ändert ihre Förderung. Oder besser: muss sie ändern.

Viele Millionen für die Kita-Förderung

Ein Gericht kippte vor gut zwei Jahren das aktuelle ­Modell, ein neues soll an diesem Mittwoch vom Stadtrat beschlossen werden. Wegen dieser neuen Lösung überlegt ein Teil der privaten Träger, aus der Förderung auszusteigen und seine Gebühren stark zu erhöhen. Die betroffenen Eltern sind alarmiert – und alle Beteiligten machen jeweils andere für die Entwicklung verantwortlich.

So beklagt die rot-grüne Stadtregierung die Untätigkeit der Landesregierung. Die hätte ein Gesetz erlassen können, um das bisherige System zu retten, lautet der Vorwurf. Im Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz ist es bislang nämlich nicht vorgesehen, Betreuungsgebühren zu deckeln. An einer Deckelung der Gebühren will die Stadt München aber unbedingt festhalten, der Bildungsgerechtigkeit wegen.

Bislang funktionierte ihr System dafür so: Wenn private Träger die – recht komplizierten – Vorgaben der sogenannten Münchner Förderformel erfüllten, bekamen sie von der Stadt Zuschüsse je Platz und Monat, zusätzlich zur Förderung durch den Freistaat. Eltern, die für ihre Kinder keinen Platz in einer städtischen Einrichtung erhalten hatten, zahlten so maximal 162 Euro pro Monat für einen Krippenplatz – genau wie in städtischen Einrichtungen. Dazu kam noch ein ­Essensgeld, aber insgesamt lagen die Kosten etwa bei 200 bis 250 Euro – einem Fünftel der Summe, die von privaten Kitas nun in Infobriefen als Szenario für die Zeit nach dem Modellwechsel genannt wird.

Etwa 7000 private Betreuungsplätze subventionierte die Stadt nach Angaben des Dachverbands Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen auf diese Weise bislang. Insgesamt zahlte sie nach eigenen Angaben etwa 170 Millionen Euro an Zuschüssen, um die Kosten für Krippen- und Kindergartenplätze niedrig zu halten. So viel Geld soll auch für das neue Modell zur Verfügung stehen, das sogenannte Defizitverfahren. Künftig müssen die Kita-Träger alle ihre Ausgaben und Einnahmen darlegen. Die Stadt will dann für die Lücke aufkommen. Sie hält die neue Regelung für rechtssicher, verweist darauf, dass auch die Regierung von Oberbayern dies grundsätzlich bestätigt habe.

Für privatgewerbliche Träger, die etwa 30 Prozent aller Krippenplätze in München anbieten, hat das neue Modell allerdings einen Haken: Mit der bisherigen Förderung war es für sie zwar schwer, Gewinne zu ­machen, aber es war grundsätzlich möglich. Beim Defizitmodell ist das anders. „Es gibt jetzt nicht mal mehr einen Minimal­gewinn“, kritisiert Andreas Lorenz, ehemaliger CSU-Landtagsabgeordneter und ­Geschäftsführer des Dachverbands Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen. Deshalb überlegten viele der Privaten, die am Fördersystem teilnehmen, auszusteigen und die Elternbeiträge künftig selbst festzulegen.

Dass in diesem Zusammenhang nun Beiträge im Gespräch sind, die die bisherigen Zuschüsse der Stadt zum Teil deutlich übersteigen, begründet Lorenz vor allem mit zwei Argumenten. Zum einen sei die bisherige Förderung zu niedrig gewesen und habe die Inflation nur ungenügend abgebildet. Zum anderen müssten die Kitas das Risiko einpreisen, aufgrund ihrer höheren Gebühren nicht mehr zu hundert Prozent ausgelastet zu sein.

„Zwei Möglichkeiten, pleitezugehen“

Lorenz weist aber auch auf Grundsätz­liches hin. Privatwirtschaftliche Unternehmen seien per Gesetz dazu verpflichtet, Gewinn zu machen – und hinter privaten Kitas stünden nicht nur große Unternehmen, sondern auch Familienbetriebe. Er sagt, die privatgewerblichen Träger – insgesamt sind es in München etwa 350 – stünden künftig vor „zwei Möglichkeiten, pleitezugehen“. Nähmen sie am neuen Fördermodell teil, würden sie wahrscheinlich langsam in die Insolvenz rutschen – weil die Stadt München zwar für ihr Defizit aufkommen würde, aber längst nicht alle Betriebskosten förderfähig seien. Verzichteten die Träger auf die Förderung, würden sie gezwungen, „mit ihren Preisen ins Luxussegment zu gehen“. Für dieses sei die Nachfrage in München aber gar nicht so groß. Deshalb würden sie wahrscheinlich schnell ins Minus rutschen.

Lorenz schlägt vor, München solle, statt „ideologiegetrieben“ auf rechtswidrige Fördermodelle zu setzen, künftig Bildungsgutscheine an alle Eltern ausgeben, gerne auch gestaffelt nach Einkommen. Als Vorbild führt er Hamburg an. Die Stadt München fürchtet wiederum, mit einem solchen Modell Gewinne privater Träger zu subventionieren.

Zwischen ihr und den privaten Trägern schwelt der Konflikt über die Kita-Förderung schon lange. Lorenz sagt, dass es mit der Stadt, die mit 460 Kitas der größte Träger ist, zwar regelmäßig Gespräche gebe. Aber die führten letztlich ins Leere. „Das sind immer nette Kaffeekränzchen, aber dann wird das Gegenteil gemacht“, sagt er.

Einerseits heiße es, alle Akteure sollten mitmachen, um die ständig wachsende Nachfrage nach Kitaplätzen zu decken, andererseits seien alle städtischen Regeln in dem Bereich gegen die Privaten gerichtet. Tatsächlich lag der Versorgungsgrad für Kinder zwischen null und drei Jahren zuletzt nur bei 56 Prozent.

Der vorläufige Höhepunkt des Konflikts war die Klage eines freien Betreibers. Er nahm damals mit seinen Kitas nicht an der Münchner Förderformel teil und fühlte sich von der Landeshauptstadt ungerecht behandelt. Diese hatte die Kitagebühren im Herbst 2019 freiwillig deutlich gesenkt – allerdings nur für die Einrichtungen, die am Fördersystem teilnahmen.

Der Kläger forderte daraufhin vor dem Verwaltungs­gericht München eine Ausgleichszahlung, weil er die Beiträge für seine Kunden nicht im gleichen Maße absenken konnte. Das Gericht wies seine Klage zwar ab, aber es beanstandete in seiner Urteilsbegründung im Herbst 2021, dass die Stadt durch ihre Förderung den Wettbewerb verzerre und ihre Kompetenzen überschreite. Sie übe bewusst Druck auf private Träger aus, sich der Förderung anzuschließen, und greife so in die vom Grundgesetz geschützte ­Berufsfreiheit ein.

Seitdem arbeitete das Sozialreferat an einer neuen Lösung, um die Beiträge für Eltern niedrig zu halten. Mit dem neuen Defizitmodell, das Anfang Februar bereits im Bildungsausschuss ­beschlossen wurde, scheint sie nun genau das Gegenteil zu erreichen, zumindest für einen Teil der Elternschaft.

Betroffene Eltern bezeichnen die ­geplanten Erhöhungen als „großen Schock“, berichten von „Existenzängsten“. Sie stellen sich gerade ganz praktische, aber auch grundsätzliche Fragen. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie über das Vergabesystem einen Platz in einer städtischen Einrichtung bekommen? Können sie sich die Betreuung ihrer Kinder noch leisten, sollte das nicht klappen? Haben sie eine Chance auf Zuschüsse über die wirtschaftliche Jugendhilfe, eine Einzelfallhilfe des Münchner ­Jugendamts?

Welcher Elternteil könnte weniger arbeiten, um die Betreuung zu übernehmen? Wie würden ihre Kinder einen Krippenwechsel verkraften? Und ist München überhaupt noch der richtige Wohnort für eine Familie mit kleinen Kindern? Die Antworten des Stadtrats auf diese Fragen fallen – je nach Partei­zugehörigkeit – unterschiedlich aus.

Die sozial- und familienpolitische Sprecherin der oppositionellen CSU-Fraktion, Alexandra Gaßmann, weist ­darauf hin, dass Eltern mit Kindern in privaten Kitas diese in der Regel nicht wegen eines besonderen Förder- oder Versorgungsangebots wählten. „Es geht da nicht um Origamikurse, sondern schlicht um einen Platz“, sagt sie. „Ein Drittel aller Kinder unter drei Jahren wird in privaten Kitas betreut, die lassen wir jetzt im Regen stehen.“ Insbesondere Frauen aus der Mittelschicht würden durch die neue Lage vor die Frage gestellt, ob sie nun zu Hause bleiben müssen, wenn die Kita zu teuer wird.

Dietl sieht den Freistaat in der Pflicht

Einen konkreten Gegenvorschlag zum Defizitmodell habe sie nicht, gesteht Gaßmann. „Aber ich bin auch nicht die Verwaltung, die zwei Jahre Zeit hatte für eine Lösung, die auch für die Mittelschicht vernünftig ist.“ Die rot-grüne Stadtregierung, die diese zwei Jahre zur Vorbereitung hatte, entgegnet, sie habe das Bestmögliche ­herausgeholt – mit Blick auf das Urteil einerseits und die Blockadehaltung der Landesregierung andererseits.

Bürgermeisterin Verena Dietl von der SPD sagt, es sei immerhin ein System gefunden worden, „um so viele günstige Kitas wie nur möglich zu erhalten“. Sie geht davon aus, dass sich für die meisten Eltern mit dem Defizitverfahren nichts ändern wird, da der Großteil der Träger städtisch oder nichtgewerblich ist. Den anderen Eltern rät sie, Anträge auf wirtschaftliche Jugendhilfe zu stellen, auch Leuten, die ihr Einkommen als zu hoch dafür einschätzten. Die Stadt habe die Hilfe inzwischen deutlich familienfreundlicher ausgestaltet, so Dietl. Für Familien, die Sozialleistungen bekommen, übernimmt ohnehin die Stadt die Gebühren.

Eine Rückkehr zur Münchner Förderformel hält sie grundsätzlich für möglich – „wenn der Freistaat seiner Verantwortung nachkommt und Kommunen diese Form der Förderung rechtssicher ermöglicht“. Im CSU-geführten Sozialministerium heißt es dazu nur, Kinderbetreuung sei nun einmal eine kommunale Pflichtaufgabe und die Verantwortung sowohl für das gescheiterte als auch für das neue Fördermodell liege ganz bei der Stadt München.

Den Vorwurf der Stadtregierung, das Land hätte gesetzgeberisch tätig werden können, um das bisherige Modell zu retten, weist das Ministerium zurück. Die Verknüpfung von Elternbeiträgen und Förderformel sei rechtlich bedenklich gewesen, was das Gericht ja auch so bestätigt habe. Darüber hinaus würde eine solche Regelung nur für München „zu Ungleichbehandlungen gegenüber anderen Kommunen führen“, heißt es aus dem Ministerium.

Bleibt die Tatsache, dass München ein Sonderfall ist, nicht nur, was die Lebenshaltungskosten angeht, sondern auch die Kosten für Krippenplätze. Darauf weist auch CSU-Mitglied Andreas Lorenz vom Dachverband Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen hin. Der Freistaat fördere die Kitas in ländlichen Räumen mit der gleichen Summe wie in Ballungsgebieten – aber die Lücke zwischen Förderung und Kosten liege in Wunsiedel wahrscheinlich bei 200 Euro, in München bei 900. Gleichzeitig zahlen Eltern in Bayern mancherorts schon deutlich mehr für Krippenplätze als in München.

Wo liegt also die Belastungsgrenze für eine Münchner Familie aus der Mittelschicht? Für Bürgermeisterin Dietl wären 500 bis 600 Euro für einen Kindergartenplatz „ein fairer Preis bei den Gebühren, die aktuell außerhalb der Münchner Förderung aufgerufen werden“. Krippenplätze sind für die Betreiber allerdings noch einmal teurer als Kindergartenplätze.

Mit Blick auf die in Elternbriefen kursierenden künftigen Beiträge sagt Dietl, wenn private Träger nun Gebühren von 1000 Euro und mehr ankündigten, könne man „eindeutig sagen, dass hier nicht nur die wegfallende Förderung ausgeglichen wird, sondern versucht wird, deutlich mehr rauszuholen auf Kosten der Eltern“. Aber selbst die von ihr als „fair“ eingeschätzten moderateren Erhöhungen würden für die Eltern immer noch eine Verdopplung der bisherigen Kosten bedeuten.

Eltern rufen zum stillen Protest auf

In der vergangenen Woche demonstrierten Hunderte von ihnen auf dem Odeonsplatz gegen das neue Förder­modell. Sie forderten einen fairen Umgang mit allen Familien. Kitaplätze dürften kein Luxusgut werden. Auch Lorenz war dabei. Einen Widerspruch zum Verhalten seines Verbands in der Sache sieht er darin nicht. Man habe schließlich nur auf das rechtswidrige Verhalten der Stadt München hingewiesen und könne nichts dafür, dass die Förderung illegal gewesen sei. Er geht ­davon aus, dass auch das neue Modell vor Gericht scheitern wird.

Davon gehen wohl auch einige der ­betroffenen Eltern aus. Sie haben für diesen Mittwoch zu einem stillen Protest vor dem Rathaus am Marienplatz aufgerufen. „Wir wollen den Mitgliedern des Stadt­rates zeigen, dass wir weiterhin gegen die Verabschiedung des Defizitausgleichsmodells sind, da es nur eine Notlösung der Stadt ist bis zur nächsten Klagewelle“, heißt es in dem Aufruf. Aber bis zu einer neuen Entscheidung vor Gericht könnten Monate, wenn nicht gar Jahre vergehen. Viele Eltern müssen aber jetzt entscheiden, wie sie ihre Kinder vom Herbst an betreuen lassen – und welchen Preis sie bereit sind, dafür zu zahlen.

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