Linke erhebt Plagiatsvorwurf gegen Union – von der kommt ein „herzliches Dankeschön“

Die Union stellte kürzlich eine Anfrage zur Migrationspolitik an die Bundesregierung – die einer früheren Anfrage der Linken frappierend ähnelt. Die erhebt jetzt den Vorwurf, die CDU/CSU habe einfach von ihr „geklaut“. Die Union macht daraus aber gar kein Hehl.

linke erhebt plagiatsvorwurf gegen union – von der kommt ein „herzliches dankeschön“

Getty Images; Montage: Infografik WELT

In der Regel haben die Unionsfraktion und die Linke im Bundestag nicht viel gemein. Schon gar nicht in der umstrittenen Migrationspolitik. CDU und CSU fordern eine Begrenzung des „zu hohen Zuzugs“, die Linke ein „Bleiberecht für alle“. Nun aber sind zwei Dokumente aufgetaucht, die bemerkenswerte Parallelen aufweisen.

In beiden Fällen handelt es sich um Kleine Anfragen, also Fragen von Fraktionen an die Bundesregierung zu bestimmten Themen. Im September 2023 stellte die Linksfraktion eine solche Anfrage, in der es um die Rückführung von Asylbewerbern in andere EU-Staaten, sogenannte Dublin-Verfahren, ging. Titel: „Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das erste Halbjahr 2023 – Schwerpunktfragen zu Dublin-Verfahren“.

Im Februar 2024 richtete die Unionsfraktion eine entsprechende Anfrage an die Regierung. Titel: „Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das Jahr 2023 – Schwerpunktfragen zu Dublin-Verfahren und sonstiger Sekundärmigration“. Über letztere berichtete WELT Anfang April.

Nicht nur die Überschriften ähneln sich, sondern auch die Fragen. Beispiel Frage eins aus der Anfrage der Linken: „Wie viele Verfahren im Rahmen der Dublin-Verordnung wurden im ersten Halbjahr 2023 beziehungsweise im bisherigen Jahr 2023 eingeleitet (bitte in absoluten Zahlen und in Prozentzahlen die Relation zu allen Asylerstanträgen sowie die Quote der auf EURODAC-Treffern (…) basierenden Dublin-Verfahren angeben (…).“

Frage eins aus der Anfrage der Unionsfraktion: „Wie viele Verfahren im Rahmen der Dublin-Verordnung wurden im Gesamtjahr 2023 eingeleitet (bitte in absoluten Zahlen und in Prozentzahlen die Relation zu allen Asylerstanträgen sowie die Quote der auf EURODAC (European Dactyloscopy)-Treffern basierenden Dublin-Verfahren angeben (…).“

Ähnlich geht es weiter. Insgesamt 17 zum Teil fast wortgleiche Fragen sind zu finden, in manchen Fällen unterschieden sich nur die abgefragten Daten. Haben die Linke und die Union etwa informell zusammengearbeitet, um die Regierung aus der Opposition heraus unter Druck zu setzen? Oder hat die Union von der Linken abgeschrieben?

Linke: „Das ist unser geistiges Eigentum“

Zu ersterem gibt es aus beiden Lagern ein klares Nein. Es habe keinerlei Absprachen gegeben, heißt es sowohl aus der Union als auch aus der Linken. Eine Zusammenarbeit wäre vor allem für die Union heikel: Sie ist laut Beschlusslage der CDU verboten, weil ihre Werte mit denen der Linken – wie auch denen der AfD – unvereinbar seien.

Zur zweiten Frage hingegen gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Die Linke im Bundestag äußert sich empört. „Die Kleine Anfrage der Unionsfraktion ist plagiiert“, sagt deren fluchtpolitische Sprecherin Clara Bünger WELT. „Die Fragen sind in weiten Teilen aus unserer Anfrage geklaut. Das ist unser geistiges Eigentum.“

Aus der Union hingegen heißt es, dass es „kein Copyright“ an Fragestellungen gebe. Die Daten, die die Linke stets abgefragt habe, seien aber relevant. Nur habe sie die Fragen eben leider zwischenzeitlich nicht stellen können.

Tatsächlich sieht es so aus, als ob die Unionsfraktion einen Nachteil der Linken bewusst zu ihrem Vorteil genutzt hat. Nachdem Sahra Wagenknecht mit neun Mitstreitern die Fraktion verlassen hatte, schrumpfte die Linke auf den Status einer Gruppe im Parlament. Sie hatte plötzlich eingeschränkte parlamentarische Rechte. Die Kleinen Anfragen, die sie seit Jahren in großem Umfang stellten, konnten sie in der Übergangszeit nicht und danach nur begrenzt stellen. Zum Ärger der Linken. „Das ist weder verfassungskonform noch verhältnismäßig“, kritisiert Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke).

Auch in einem weiteren Fall nutzte die CDU/CSU diese Lücke aus und setzte die Arbeit der Linksfraktion „fort“. Pau fragt seit 2005 jedes Quartal die aktuellen Zahlen judenfeindlicher Straftaten ab, seit 2008 in interfraktioneller Zusammenarbeit. Im April fragte der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries dann in einer Schriftlichen Frage nach jenen Zahlen sowie nach muslimfeindlichen Straftaten. Da in diesem Format nur eine Frage und eine mögliche Unterfrage zulässig sind, enthält die Antwort jedoch deutlich weniger Aussagen etwa zu Delikten oder Tatverdächtigen, als es bei einer Kleinen Anfrage der Fall wäre.

Die Linke äußert sich verärgert. Hinter den Anfragen, die die Linke seit Jahren stelle, stecke „sehr viel Arbeit“, sagt Bünger. „Wir arbeiten dafür mit vielen Wissenschaftlerinnen zusammen. Für die richtige Auswertung braucht man ein bestimmtes Fachwissen.“ Sie gehe davon aus, dass die Union die Antworten der Bundesregierung nicht richtig ausgewertet habe. „Sie hat unsere Fragen genutzt, um die Flüchtlingspolitik in ihrem Sinne zu framen.“

Dass die Union vom Fragerecht Gebrauch mache, sei zwar ihr „gutes Recht“, betont Pau mit Blick auf die Antisemitismus-Frage. „Sehr befremdlich“ aber sei, dass die Union über die gute Kooperation zum Thema hinweg frage, so Pau zu WELT. Die Zusammenarbeit sei wichtig, auch wenn man „vermutlich sehr unterschiedliche Antworten auf die Herausforderungen im Umgang mit den steigenden menschenfeindlichen Straftaten“ habe.

Union findet Kritik „einigermaßen absurd“

Überhaupt kein Problem sieht man hingegen bei der Union. „Wir haben keine ähnlichen Interessen“, sagt Innenpolitiker Alexander Throm (CDU). Tatsächlich betrachte man die Zahlen aus der entgegengesetzten Richtung. „Aber ja: Die Linken haben uns in der Vergangenheit mit ihren Fragen die Datengrundlage für eine restriktivere und konservative Migrationspolitik geliefert“, sagt Throm. „Insofern ein herzliches Dankeschön an die Linken für ihre Zuarbeit. Diese Daten brauchen wir auch noch, wenn die Linken aus dem Bundestag ausgeschieden sind.“ Dass die Fragen zum Teil wortgleich sind, wird auch begründet: Nur so könne man die Daten über Jahre vergleichen, heißt es aus der Union.

CDU-Politiker de Vries, der die Antisemitismus-Frage stellte, sagt: „Die Kritik der Linken ist einigermaßen absurd und offenbart ein fragwürdiges Demokratieverständnis. Es gibt im Deutschen Bundestag keine thematischen Exklusivrechte für irgendeine Fraktion.“ Man werde seine Aktivitäten auch zukünftig „gewiss nicht von der Linken abhängig machen“.

Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass eine Fraktion Anträge und Anfragen von einer anderen Fraktion fast wortgleich übernimmt, vor allem in den Ländern und Kommunen. Die Maßstäbe sind in der parlamentarischen Praxis offenbar andere als in der wissenschaftlichen. Ärger gibt es oft dennoch. In der Regel regen sich die „Beklauten“ über die unabgesprochenen Übernahmen auf.

Bei der Linke-Gruppe kommt Ärger über die Bundesregierung hinzu. Pau attestiert ihr einen „ganz offensichtlichen Unwillen, unsere Anfragen angemessen und fristgerecht zu beantworten“. So sei die Beantwortung der Fragen zu rechtsextremer Gewalt, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit mehrfach verschoben und dann „nur schludrig und unvollständig“ beantwortet worden. Die Union habe die Antworten zu teils deckungsgleichen Fragen schneller erhalten. „Das ist für uns in dieser Qualität eine neue und ärgerliche Situation“, so Pau.

Weil sie die Einschränkung ihres Fragerechts nicht anerkennen will, zog die Linke-Gruppe vors Bundesverfassungsgericht – beauftragt wurde Bünger, eine derjenigen, die am stärksten vom Fragerecht Gebrauch machen. Mitte März aber hob der Ältestenrat des Bundestags die vorherigen Beschränkungen plötzlich auf. Bis zum Abschluss dieses Organstreitverfahrens dürfen Linke und auch das Bündnis Sahra Wagenknecht unbegrenzt fragen. Die Lücke für die Unionsfraktion hat sich vorerst geschlossen.

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