Samira Marti (links) und ihre Parteikolleginnen freuen sich über das erfolgreiche Abstimmungsresultat.
Frau Marti, ein grosser Tag für die Linke und die Gewerkschaften. Wie gross ist die Freude, dass die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente angenommen wurde?
Samira Marti: Die Freude ist riesig. Wir haben in den vergangenen Wochen gespürt, dass ein Ja möglich sein könnte.
Haben Sie mit einem solch klaren Entscheid gerechnet?
Nein. Mit einem solch starken Zeichen für die Stärkung der Kaufkraft hätte ich nie gerechnet. Ich freue mich für all diejenigen Menschen, die von dieser 13. AHV-Rente profitieren werden. Ich hatte im Verlauf dieses Abstimmungskampfes mit sehr vielen Menschen Kontakt, die mir erzählt haben, wie knapp es bei ihnen mit der Rente wird, weil die Krankenkassenprämien und die Mieten explodieren. Für diese Menschen habe ich gestern die Daumen gedrückt.
Sie sprechen es an, vieles ist teurer geworden. Miete, Krankenkasse, Strom, Lebensmittel. Waren diese Verteuerungen von Gütern des Alltags letztendlich ausschlaggebend für die Annahme der Initiative?
Wir leben in krisenhaften Zeiten. In den letzten Jahren wurde viel Geld ausgegeben, insbesondere für Privatbanken, aber auch für die Bekämpfung der Covid-Pandemie. Jetzt wurde von rechts behauptet, dass die 13. AHV-Rente nicht finanzierbar sei. Das war schon sehr unglaubwürdig.
Präzisieren Sie.
Jetzt sind endlich die normalen Menschen an der Reihe! Der Verlust der Kaufkraft für grosse Teile der Bevölkerung ist eine Krise, die endlich ernst genommen und gelöst werden muss. Die Dringlichkeit dafür ist in den letzten Jahren mit der steigenden Teuerung angestiegen. Dies belastet Jung und Alt, und es sind längst nicht nur die Ärmsten davon betroffen, sondern der breite Mittelstand.
Die Co-Praesidentin der SP-Fraktion Samira Marti, SP-BL, ergreift das Wort, waehrend den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates durch die Vereinigte Bundesversammlung, am Mittwoch, 13. Dezember 2023 in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Zur Person
Samira Marti sitzt seit 2018 für die SP im Nationalrat. Seit dem vergangenen September ist die 30-Jährige Co-Fraktionspräsidentin. Marti besitzt einen Master in Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich. |
Früher galt das Credo: Was gut für die Wirtschaft ist, ist auch gut für mich. Haben sich die Menschen bei dieser Vorlage von der Wirtschaft entkoppelt und Ja gestimmt, weil sie konkret und unmittelbar profitieren werden?Die Stärkung der Kaufkraft ist sinnvolle Wirtschaftspolitik. Vor allem in einer Welt, in der rundherum Krisen wüten. Es tut dem Gewerbe gut, wenn es sich unsere Grosseltern leisten können, auch mal zum Coiffeur zu gehen oder mit den Enkelkindern einen Kaffee und ein Stück Kuchen zu geniessen.
Nicht jeder Rentner lebt in Armut, ausserdem existiert das Instrument der Ergänzungsleistungen, das vor Altersarmut schützen soll. Wieso braucht es dennoch eine 13. AHV-Rente?
Die Kaufkraft-Problematik betrifft eben nicht nur die tiefsten Einkommen, sondern den breiten Mittelstand. Zudem sind die Ergänzungsleistungen nur für den Notfall gedacht. Für Menschen mit sehr tiefen Renten sind sie das richtige Mittel. Die AHV hingegen verhindert, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, auf der Gemeinde die hohle Hand machen und Ergänzungsleistungen beantragen müssen. Sie sichert die Existenz und ermöglicht ein Altern in Würde, so verlangt es auch unserere Verfassung.
Auch reiche Menschen werden eine 13. AHV-Rente erhalten. Was sagen Sie zu Vorwurf des Giesskannenprinzips?
Wer über die Giesskanne reden will, muss zuerst schauen, wie sie gefüllt wird. Die sehr hohen Einkommen zahlen viel mehr in die AHV-Giesskanne ein, als sie jemals ausbezahlt bekommen. Neun von zehn Personen erhalten aber mehr, als sie insgesamt einbezahlen.
Sie spielen auf das allgegenwärtige Beispiel von UBS-CEO Sergio Ermotti an.
Genau, Sergio Ermotti wurde immer wieder als Beispiel genannt. Es ist so, dass auch er eine 13. AHV-Rente erhält. Allerdings finanziert Herr Ermotti ca. vierzig andere 13. AHV-Renten. Ob er selbst nun eine bekommt, ist vor diesem Hintergrund nebensächlich. Gutverdienende Menschen zahlen sehr viel in die AHV ein, ihre Renten sind jedoch gedeckelt.
Bereits 2026 werden die ersten 13. AHV-Renten ausbezahlt, die Gegner der Vorlage warnten vor einem Milliardendefizit.
Der AHV geht es gut, der Fonds ist auf einem Rekordhoch. Bis 2030 werden wir wahrscheinlich jedes Jahr Milliardengewinne erzielen, bis zu einer Höhe von fast 70 Milliarden Franken. Die mittelfristige Finanzierung durch eine moderate Erhöhung der Lohnprozente wird für die mittleren Einkommen spürbar sein. Die 13. AHV-Rente aber schützt die Kaufkraft wirksam. Das Preis-Leistungs-Verhältnis mittels Lohnabgaben ist deshalb unschlagbar. Das Parlament muss jetzt die Vorlage umsetzen, wir werden uns für eine soziale Finanzierung einsetzen.
Die Renteninitiative wollte die AHV-Finanzierung mit einer schrittweisen Anhebung des Rentenalters sichern, die Vorlage der Jungfreisinnigen ist jedoch deutlich gescheitert.
Das deutliche Resultat mit 75 Prozent Nein-Anteil ist natürlich eine riesige Schlappe. Eine Erhöhung des Rentenalters ist vom Tisch. Man kann das Resultat sogar als Befreiungsschlag sehen, was die Diskussion rund um die Altersvorsorge betrifft. Diese vermeintliche Lösung, welche die Bürgerlichen und die Wirtschaftselite immer wieder angepriesen haben, ist damit erledigt.
Die Freude ist riesig bei Unia-Präsidentin Vania Alleva und Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
Die Lebenserwartung steigt aber, das ist ein Fakt. Was ist nicht gut daran, das Rentenalter mittels Automatismus an die Lebenserwartung zu koppeln?
Man sieht schon heute, dass sich die Personen mit den höchsten Einkommen – namentlich im Banken- und Versicherungssektor – am meisten frühpensionieren lassen. All jene, die jetzt im Abstimmungskampf immer beteuern, dass sie gerne länger arbeiten würden, machen es in der Realität gar nicht. Wer es sich leisten kann, geht heute schon vor 65 in Pension.
Können Sie dies ausführen?
Unter einer Erhöhung des Rentenalters würden real vor allem diejenigen Menschen leiden, die sich eine Frühpensionierung eben nicht leisten können. Die eine volle AHV-Rente brauchen und für die eine Einbusse bei der Pensionskasse durch eine Frühpensionierung nicht in Frage kommt. Es sind die Personen mit den tiefen und mittleren Einkommen, die dann länger arbeiten müssen.
Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen hatte keine Chance. Im Bild FDP-Präsident Thierry Burkart (Mitte) und Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen.
Hat die Renteninitiative unter der Dominanz der öffentlichen Debatte rund um die 13. AHV-Rente gelitten?
Nein, im Gegenteil. Gestern hatten wir zwei Visionen für die Zukunft unseres Landes vor uns. Die eine war die Stärkung des wichtigsten Sozialwerkes, das sicherstellen soll, dass alle im Alter in Würde leben können.
Und die andere?
Die andere Vision ist eine schleichende Privatisierung der Altersvorsorge, in der sich die Bevölkerung nicht mehr auf die Existenzsicherung durch die AHV verlassen kann. Alle schauen nur für sich selbst. Die Verlierer wären jene mit tiefen und mittleren Einkommen. Die Stimmbevölkerung hat sich gestern deutlich entschieden: Sie will eine starke AHV. An einer schleichenden Privatisierung ist sie nicht interessiert.
War die gestrige Abstimmung ein Sprungbrett für weitere sozialpolitische Vorstösse, die in eine ähnliche Richtung gehen?
Man muss hier etwas relativieren. Die 13. AHV-Rente kompensiert nicht einmal den ganzen Kaufkraftverlust, der für die Rentnerinnen und Rentner über die letzten vier Jahre satte 3500 Franken betrug. Die 13. AHV-Rente ist hier nur eine teilweise Kompensation. Die Kaufkraft-Probleme, namentlich die explodierenden Krankenkassenprämien, die Jahr für Jahr weiter ansteigen, sind damit noch nicht gelöst. Darunter leiden die jungen Familien besonders stark.
Mehr zum Abstimmungssonntag
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