„Wenn es einem Kind psychisch nicht gut geht, kann es auch nicht lernen“

Berlin. Viele Erwachsene denken heute nicht mehr an die Zeit der Corona-Pandemie zurück. So manches Kind leidet aber noch unter den Folgen. Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot, sieht großen Handlungsbedarf.

„wenn es einem kind psychisch nicht gut geht, kann es auch nicht lernen“

Christine Streichert-Clivot (SPD), saarländische Bildungsministerin, als sie das Amt der Präsidentin der Kultusministerkonferenz für das Jahr 2024 übernahm.

Frau Streichert-Clivot, Sie sind in einer Zeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), in der der Zustand der Schulen in Deutschland katastrophal ist. Ist Ihnen mulmig?

Streichert-Clivot Nein, ich bin schon viele Jahre in der Bildungspolitik aktiv und kenne die KMK auch schon über zehn Jahre. Ich mache meinen Beruf mit großer Leidenschaft, weil für mich Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt stehen und das ist auch der tagtägliche Antrieb meines Arbeitens. Und im Moment geht es einigen von ihnen nicht gut in der Schule.

Woran liegt das?

Streichert-Clivot Ein zentraler Punkt ist, dass wir in der Corona-Pandemie Schulen und Kitas geschlossen haben. Das haben wir gemacht, weil insbesondere die Gesundheitsseite davon ausgegangen ist, dass wir mit geschlossenen Gemeinschaftseinrichtungen Menschen besser schützen können. Wir haben in dieser Debatte aber vollkommen ausgeblendet, dass Schulen eben auch Lebensorte für junge Menschen sind, in denen sie zusammenkommen, ihre Freunde treffen und zeigen können, wo ihre Begabungen liegen. An den Konsequenzen, die das heute hat, müssen wir weiter arbeiten. Alleine eine Entschuldigung reicht da nicht aus. Ich wünsche mir da auch noch ein stärkeres Engagement gerade derjenigen, die in der Pandemie sehr laut nach Schulschließungen gerufen haben. Auch die tragen heute im Gesundheitsbereich Verantwortung für Unterstützungssysteme um die Schulen herum.

Sie meinen Ihren SPD-Parteikollegen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach?

Streichert-Clivot Auch.

Was könnte er denn tun?

Streichert-Clivot Wo die Situation ganz akut ist, müsste psychologische Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Mir berichten Lehrkräfte, wie schwierig es ist, an solche Angebote heranzukommen. Wenn es einem Kind psychisch nicht gut geht, dann kann es auch nicht lernen. Wir haben es mit Depressionen zu tun und mit Verhaltensweisen, die den Ablauf in den Schulen massiv stören. Außerdem gibt es Schulabstinenz, wenn Kinder die Schule aus Angst nicht mehr besuchen. Gerade wo die sozialen Verhältnisse schwierig sind, kamen die Kinder nicht so gut aus der Pandemie heraus.

Wie wollen Sie das Thema in der KMK angehen?

Streichert-Clivot Wir müssen gemeinsam mit der Jugendhilfe, mit dem Gesundheitsbereich den Schulterschluss suchen, um auch Antworten zu finden, wie wir die nötigen Unterstützungssysteme für die Schulen finanzieren können.

Bei der jüngsten PISA-Studie hat Deutschland schlechter abgeschnitten als noch vor fünf Jahren. Bei den Matheaufgaben hatte man den Eindruck, dass eher das Verstehen der Textaufgabe der Knackpunkt war, nicht das Rechnen an sich. Wie sehen Sie das?

Streichert-Clivot Die Basiskompetenzen sind zentral und das Lesen ist der Schlüssel zur Welt. Das hat in der Pandemie natürlich auch gelitten. Wir wollen daher ganz gezielt in den Grundschulen schauen, wie wir da noch besser werden. Das kann bedeuten, mehr Zeit in gemeinsames Lesen zu investieren oder in Kindern das Interesse zu wecken, zu einem Buch zu greifen. Unsere Schulen im Saarland machen zum Beispiel Vorlesenächte und gemeinsames Lesen in der Gruppe. Ich bin selbst gerne in Schulen unterwegs und lese vor.

Was lesen Sie da vor?

Streichert-Clivot Ich bringe Bücher mit, die ich selber gerne lese oder meinen Kindern vorlese, zum Beispiel von Astrid Lindgren oder der Flöwe Murxel, ein Erstlesebuch aus meiner Kindheit in Handschrift.

Zum Abschluss noch etwas Persönliches: Wie war Ihre Schulzeit?

Streichert-Clivot Ich hatte eine gute Schulzeit. Vieles, was mich als Mensch ausmacht, wurde da schon geprägt: Ich war auf einer Grundschule mit französischem Schwerpunkt und reiste als Schülerin zum Austausch nach Frankreich. Heute bin ich mit einem Mann verheiratet, der Deutsch-Franzose ist. Die Gesamtschule hat dafür gesorgt, dass ich als Arbeiterkind Abitur machen und studieren konnte.

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