Protest gegen Unterkunft: Wie viele Asylbewerber sind zu viele für einen Ort?

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„Mein Lebenswerk“: Marcus Schmied betreibt in Dabel ein DDR-Museum.

In Dabel ist einiges los, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt. Das frühere Kasernengelände ist verwaist. In den Wäldern am Rande des Dorfs zwischen Rostock und Schwerin waren einst Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) stationiert, später solche der Bundeswehr. 1996 wurde die Anlage aufgegeben. Fünf Wohnblocks stehen noch da. Um die gibt es Streit.

Die meisten seien völlig kaputt und verschimmelt – Gott sei Dank seien sie nicht mehr nutzbar, sagt Jörg Neumann. Andernfalls könnte nämlich irgendjemand auf die Idee kommen, noch mehr Asylbewerber in seiner Ortschaft unterzubringen. Neumann ist ehrenamtlicher Bürgermeister des kleinen Ortes in Mecklenburg, und er hat schon leichtere Zeiten in dem Amt erlebt. Der Landkreis Ludwigslust-Parchim will bis zu 540 Asylbewerber in der ehemaligen Kaserne unterbringen. Dabel hat rund 1400 Einwohner. Der Unmut im Ort ist deswegen groß.

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Raum für Neues: Die Kasernen in Dabel stehen leer – Flüchtlinge wollen die Anwohner dort aber nicht haben, erzählt Bürgermeister Jörg Neumann.

Vor der Kommunalwahl Anfang Juni schlägt der Fall Wellen. Umfragen zufolge dürfte bei der Wahl die AfD mit Abstand stärkste Kraft werden. Derzeit liegen die Rechtspopulisten bei rund 30 Prozent. Zweitstärkste Kraft derzeit ist die SPD von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig mit rund 20 Prozent. Neben der Russlandpolitik – viele Menschen im Land lehnen die Abkehr von Moskau ab – ist vor allem die Migration das bestimmende Thema im Wahlkampf.

Wie Dabel versuchte, alles richtig zu machen

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Beliebt bei Touristen: Dabel zieht viele Urlauber an.

In dem sehr ländlich geprägten Bundesland sind die Zahlen der unterzubringenden Geflüchteten für die kleinen Orte oft sehr groß. Großen Unmut gab es deswegen auch in dem 500-Einwohner-Dorf Upahl, wo der zuständige Landkreis zunächst 400 Asylbewerber unterbringen wollte und die Bürger sich schlecht informiert sahen.

In Dabel hat der Landkreis versucht, vieles richtig zu machen. Anfang März wurde der Kreistag darüber informiert, dass drei Standorte für eine Gemeinschaftsunterkunft geprüft werden. Rund eine Woche später gab es Informationen zu Dabel. Darauf folgte eine Einwohnerversammlung. Doch Bürgermeister und Gemeinderat kritisierten danach, dass sie vor der Entscheidung nicht gefragt und zu spät informiert worden seien. An dem Bauantrag habe der Landkreis schließlich schon im vergangenen Jahr gearbeitet, sagt Neumann. Großen Teilen der Bevölkerung sei klar, dass die Flüchtlinge irgendwo hinmüssten, sagt er. „Aber die Befürchtung ist, dass die große Anzahl die Gemeinde überlastet. Es ist nun mal ein anderer Kulturkreis.“

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Sammelsurium aus einer anderen Zeit: Vom Unrechtsstaat DDR und der Verfolgung politisch anders Denkender ist im Museum nichts zu finden.

Der Gemeinderat lehnte den Bauantrag Anfang April ab, weil angeblich das Gebäude für die Anzahl der Personen nicht geeignet sei. „Man bekommt hier nicht würdig 540 Leute rein“, sagt Neumann. Selbst zu Bundeswehrzeiten seien nicht so viele Menschen darin untergebracht worden.

Der Landkreis kann sich über die Entscheidung hinwegsetzen, die Bestimmung einer Unterkunft als Gemeinschaftsunterkunft erfolgt durch ihn. Neumann nennt den Beschluss seiner Gemeinde daher eine „Pseudo-Abstimmung“. Er habe den Beschluss eigentlich von der Tagesordnung nehmen wollen, sagt er, da er sich nicht sicher sei, ob dieser nicht gegen die Kommunalverfassung verstoße. Eventuell muss er ihn nun zurücknehmen. Hilfreich für die Stimmung vor Ort wird das kaum sein. Kommen werden die Asylbewerber so oder so, da ist sich Neumann sicher.

Dabel sieht Gefahr für Tourismus

Er verstehe die Kritik der Einwohner in Teilen durchaus, sagt Landrat Stefan Sternberg (SPD) dazu. „Doch uns sind als Landkreis die Hände gebunden. Wir müssen Kapazitäten schaffen, um Geflüchtete unterzubringen. Das ist ein gesetzlicher Auftrag.“ Der Landkreis sei dünn besiedelt, deshalb gäbe es überall die Situation, dass auf wenig Einwohner eine größere Anzahl Geflüchteter komme.

Viele in Dabel leben vom Tourismus. Die Landschaft ist geprägt von Seen, Feldern und Wald. Viele Besucher zögen die Ruhe hier der Hektik an der Ostsee vor, sagt eine Einwohnerin, die nicht namentlich genannt werden will. Damit sei es wohl vorbei, nun, da dem Ort die Asylbewerber „aufgedrückt“ würden. „Für Dabel sind es eindeutig zu viele.“ Große Sorge bereitet ihr eine mögliche Kriminalität, die von den Asylbewerbern ausgehen könnte – vor allem mit Blick auf die Badestelle an dem kleinen See vor Ort. Die sei im Sommer ohnehin voll. Dazu nun Hunderte junge Männer, die Langeweile hätten?

Das Belegungskonzept des Landkreises sieht nur die Unterbringung von Familien vor. Doch im Ort wird dem misstraut. Verwiesen wird wiederholt auf die neuesten Zahlen zur Kriminalität in Deutschland. Auch von einer angeblichen „Islamisierung“ des Landes ist dann die Rede. Und davon, dass den Asylbewerbern viel gegeben werde, während die Deutschen schuften müssten. „Hast du nichts, kriegst du alles“, heißt es. All das werde nur die AfD stärken.

Früher in der DDR hätten die Menschen alles gehabt, außer vielleicht die Reisefreiheit, sagt die Anwohnerin. Und nach der Wiedervereinigung sei vieles nicht so gekommen wie erhofft. „Das wird doch alles von oben entschieden. Es ist schlimmer als unter Honecker“, sagt sie.

Als sei man in der DDR

Zuweilen wirkt die DDR in Dabel nicht fern. Es gibt ein „DDR-Museum“. Das befindet sich auf dem Gelände einer Ferienanlage – dort, wo früher das Ferienlager eines „Volkseigenen Betriebs“ war. Über die Wiese schallt laut Musik. Vor dem Eisstand, an dem eine DDR-Flagge weht, stehen ein paar Leute, darunter Marcus Schmied. 1994 kauften seine Eltern das frühere Ferienlager. In dessen Resten fand der Elfjährige damals Kinderspielzeug aus DDR-Zeiten. Bälle, Spiele, Plakate und vieles mehr. Daraus sei eine Sammlerleidenschaft geworden, erzählt er, und irgendwann eben das Museum: „Mein Lebenswerk.“

Von einem „Nostalgie-Museum“ und einer „Zeitreise“, ist in Lokalzeitungsberichten die Rede, die Schmied an der Eingangstür angebracht hat. Rund 10.000 Dinge stellt er aus, darunter die nach seinen Angaben jeweils weltgrößte Sammlung an Spirituosen, Limonaden und Bierflaschen aus der DDR. Und noch viel mehr: von Anstecknadeln und Münzen bis zu Weckern und Staubsaugern. Selbst von der Decke hängen Dinge. „Sachen aus einer ausgestorbenen Zeit. Aber mit Charme und Charakter“, sagt Schmied.

Zwischendrin sind auch Gemälde von Stalin und Lenin ausgestellt, zudem NVA-Propagandaplakate und ein Fahneneid von Volkspolizei-Bereitschaften. Anmerkungen und historische Einordnungen aber gibt es keine. Warum nicht? Das wäre zu viel, sagt Schmied, den Besuchern schwirre doch nach dem Besuch ohnehin schon der Kopf.

Laut Schmied sind die allermeisten Besucher einstige DDR-Bürger. 70 Prozent sagten ihm, die Zeit in der DDR sei eine gute gewesen. Eine Zeit ohne Neid, weil jeder das Gleiche gehabt habe und weil es den Menschen besser gegangen sei. Das Geld sei knapp gewesen, aber viel gebraucht habe man ohnehin nicht, sagt Schmied. „Die Leute hätte es nicht gestört, wenn die Mauer nicht gefallen wäre.“ Vom Unrechtsregime und von der Verfolgung politisch Andersdenkender oder der Bespitzelung des eigenen Volks schweigt Schmied ebenso wie seine Ausstellung es tut.

An einem Haus etwas weiter im Ortskern hängen Plakate. „Verteidige deine Familie, deine Heimat, dein Land“ steht auf einem in altdeutscher Schrift. „Asylwahnsinn stoppen. Heimat beschützen“ und „Schützt unsere Gemeinde und unsere Kinder“ auf anderen Plakaten. Bürgermeister Neumann fährt mit seinem Auto daran vorbei. „Wir sind in Mecklenburg. Da muss man sich nichts vormachen. Ein paar Rechte gibt es immer“, sagt er dazu.

„Alternativlose Migrationspolitik“?

Eigentlich aber ist er sehr stolz auf seinen Ort. Im Ortskern stehen alte Gebäude aus Backstein, auch eine kleine Kirche. Nach dem Krieg sei der Ort stark gewachsen, sagt Neumann. Damals seien viele Flüchtlinge aus Ostpreußen gekommen. Später dann die NVA, die das Dorf „ernährt“ habe.

Viele Leute hier seien sehr vernünftig, sagt Neumann. In der Gemeindevertretersitzung sei sehr sachlich über die Flüchtlinge diskutiert worden. Dort sei auch ein Politiker der AfD gewesen. „Aber auf das Pferd springen wir nicht auf.“ In der Gemeindevertretung seien fast alle Mitglieder parteilos, so wie er selbst. „Bei uns gibt es kein Parteiengeklüngel.“ Dass der Fall nun der AfD in die Hände spielen könnte, befürchtet Neumann trotzdem.

Der migrationspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Jan-Phillip Tadsen, sagt, die geplante Unterkunft in Dabel zeige, „mit welcher Arroganz“ der Landrat über die Köpfe der Bürger hinweg eine angeblich alternativlose Migrationspolitik durchdrücke, während sich der „Souverän“ vor Ort nur noch „ohnmächtig“ fühle. Der Vorsitzende der oppositionellen CDU, Daniel Peters, sagt zu dem Fall, der Protest in Dabel sei „absolut nachvollziehbar“. Der Fall zeige, was migrationspolitisch in Deutschland falsch laufe, nach wie vor nehme der Zustrom an „zumeist schlecht qualifizierten, schlecht integrierbaren Flüchtlingen zu“, und das Land lade die Folgen der Politik bei den Landkreisen ab.

Bisher kamen nach Angaben des Innenministeriums in Schwerin in diesem Jahr etwas weniger Asylbewerber an als Anfang 2024, 1270 anstatt 1450 Personen. Hinzu kamen seit Kriegsbeginn rund 25.000 ukrainische Flüchtlinge. Die künftigen Zugangszahlen ließen sich „unmöglich seriös vorhersagen“, heißt es vom Ministerium. Schließlich hingen sie auch vom Kriegsverlauf in der Ukraine ab. Was die Asylbewerberzahlen angehe, sei mit keiner Entspannung zu rechnen. Vom Landkreis Ludwigslust-Parchim heißt es dazu, man rechne mit ähnlichen Zuweisungszahlen wie im Vorjahr.

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