Besuch beim St. Moritzer Original

Die «Villa Heb di fescht» in St. Moritz ist eine Institution. Sie gehört «Ehrenwutbürger» Adolf Haeberli. Der St. Moritzer hat aus ­Protest aufgehört aufzuräumen. Dieses Jahr wird der belesene Freigeist 90. Sein grösster Wunsch: Gesundheit und Gerechtigkeit.

Adolf Haeberli (89) hat die Tür zu seiner Wohnung einen Spalt weit geöffnet. Weiter geht sie auch gar nicht auf. Wer einige Kilos zu viel auf den Hüften hat, schafft es nicht hinein in diese skurrile Räuberhöhle aus Altpapier und Erinnerungen.

«Villa Heb di fescht» wird das Haus mitten im Zentrum von St. Moritz genannt. Hier wurde Adolf am 11.11.1934 geboren. «Follow the guide!», ruft er fröhlich und schlurft mit wackligen Beinen über einen meterhohen Teppich aus Zeitungen. Die Publikationen vom Vortag darf er sich in den Hotels holen. Da er kaum Zeit findet, alle zu lesen, hebt er sie sich für später auf. ​​​​​​

Vor vier Jahren interviewte ein Filmteam den schrägen Kauz. Die Geheimtipp-Doku «Haeberli» von Regisseur Moritz Müller-Preisser wurde ein Kinohit, heimste zahlreiche internationale Preise ein. 2020 wurde im Nobelhotel Badrutt’s Palace Premiere gefeiert. Über Nacht wurde das sympathische Männlein zum Medienstar. Während Haeberli den Auftritt im Rampenlicht genoss, rieb sich manch Einheimischer verwundert die Augen. Seither gewährt er nur noch wenigen Menschen Zutritt in sein Reich. «Ich mag es nicht, wenn Fremde in meinem Reduit Staub aufwirbeln.»

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Fabienne Bühler /

Der Tod der Mutter veränderte alles

Staub liegt wie eine feine Raureifschicht über den Dingen, die von einem Leben erzählen, das irgendwann aus den Fugen geraten ist. Wie um Gottes willen konnte es so weit kommen? Haeberli ist bekennender Messie. Auf die Frage nach dem Warum weiss er auch keine schlüssige Antwort, sagt nur: «Gott hat damit rein gar nichts zu tun. Ich bin halt ich.»

Seit dem Tod seiner Mutter Elvira Haeberli-Graf, die 2006 an einem Schlaganfall gestorben ist, hat er nicht mehr aufgeräumt. Fast scheint es, ihr Geist schwebe noch durchs Haus. Ihre Kleider hängen fein säuberlich im Schrank. Als sei sie bloss kurz rausgegangen, um Brot zu kaufen. Die Asche, erzählt Adolf, habe er auf ihren Wunsch über den Fluren Malojas am Ufer des Silsersees verstreut. Madame Haeberli war eine spannende Persönlichkeit. Spricht Adolf von seiner Mutter, dann mit wässrigen Augen und grossem Respekt. «Ihr gehörte der Coiffeursalon. Weil eine Lehrtochter für Maniküre und Pediküre absprang, stieg ich ins Geschäft ein. Ich hatte ihr einmal über die Schultern geschaut und das auf Anhieb gekonnt.» Zart und einfühlsam ging er ans Werk, was der Frauenwelt gefiel. «Sie standen Schlange bei mir», meint er mit leisem Stolz.

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Fabienne Bühler /

Über Mittag eilte der Sohn pflichtbewusst nach Hause und kochte. «Am liebsten Risotto, aber nicht nach Tessiner Art mit viel Rühren und so. Ich machte ihn im Dampfkochtopf. Das ging schneller.» Heute ist die Küche faktisch unbewohnbar – wie alle Räume in der einst herrschaftlichen Wohnung. Adolf zeigt auf das Erkerzimmer mit seinen prächtigen Tapisserien und originalen Stuckaturen. Hier schläft er. Weich gepolstert auf Bergen von Zeitungen. Der Geruch? Angenehm neutral. Warm ist es auch. Die dicken Mauern isolieren bestens. Der Schlafsack liegt zusammengerollt in der Ecke. «Ich habe Morgen-, Mittags- und Abendsonne in einem. Es ist ein wunderbarer Platz.» Seine braunen Augen strahlen von innen.

Hört man ihm zu, merkt man sofort: Der Typ ist geistig hellwach. Haeberli spricht sechs Sprachen. Auf seinen Spaziergängen hält er mal ein Schwätzchen mit einem portugiesischen Zimmermädchen, mal mit russischen Touristen. Wie ihm seine Eltern (der Vater starb 1952 mit 52 Jahren) das Internat in Zuoz finanziert haben, wo er die Matura machte, ist ihm bis heute ein Rätsel. Er ist nicht nur ein humorvoller Geschichtenerzähler, sondern auch ein wandelndes Lexikon. Kein Wunder: So belesen wie er sind schliesslich nur wenige! Auf einem Zeitungsberg im Wohnzimmer steht eine Hermes Baby. Auf der klapprigen Schreibmaschine verfasst er seine Protestbriefe an die Gemeinde, an Versicherungen und die Polizei. Kürzlich ging sie kaputt. Er schreibt ungerührt von Hand weiter.

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Fabienne Bühler /

Sein Kampf füllt zig Aktenordner

Worum genau es bei den Schreiben geht, beschäftigt die Gerichte seit Jahrzehnten. Der Fall ist verzwickt. David gegen Goliath. Auf der einen Seite der Verwaltungsapparat, der sich stur stellt. Auf der anderen Seite ein Querdenker, der um sein Recht auf unordentlichen Eigensinn im klaren Kopf und um finanzielle Ansprüche kämpft. «Ich wurde über den Tisch gezogen und kämpfe bis heute für Wiedergutmachung.»

Adolf Haeberli schildert die Sachlage so: 1986 wurde unterhalb seines Hauses das Parkhaus Quadrellas gebaut. Der Hang geriet darob ins Rutschen und damit das Haus seines Grossvaters ins Wanken. Und dabei bekam nicht nur die Fassade Risse, sondern auch sein Glaube an das Gute im Menschen. Seither ist die schräge Millionen-Immobilie baufällig, wird durch Eisenträger und Drahtseile gestützt. Angst, dass das Gebäude einstürzt, hat er nicht: «Ich wohne hier auf eigene Gefahr. Ist das Leben denn nicht immer lebensgefährlich?»

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Fabienne Bühler /

Das Dorf-Original im Eiskanal

Für die einen ist die «Villa Heb di fescht» ein Schandfleck. Für die anderen eine Kultadresse, ein kreativer Ort des Widerstands. «Man wollte mich schon für dement erklären lassen und in die Psychiatrie einliefern. Ich bin halt unbequem.» Bis jetzt blieb sein Anliegen ungelöst. Vom Gemeindepräsidenten Christian Jott Jenny verspricht er sich einiges. Dieser verlieh ihm bereits den Titel «Ehrenwutbürger».

Der Junggeselle («Keine war kompatibel. Ich hab Schwein gehabt – die Frauen aber auch!») schaufelt Schnee vom Dach und donnerte als ältestes Cresta-Mitglied mit 145 Stundenkilometern mutig den Eiskanal hinunter. «Wegen Gleichgewichtsproblemen kann ich leider keine grossen Sprünge mehr machen.» Ansonsten bezeichnet sich Adolf Haeberli als Glückskind. Er trinkt täglich frischen Zitronensaft, isst Müesli mit Nüssen, liest munter Zeitung im Salon. Aber wehe, jemand wagt, etwas zu verändert. Dann ruft er wie aus der Pistole geschossen: «Bitte keine Unordnung machen!»

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Fabienne Bühler /

Die Schweizer Illustrierte hat eine neue Podcast-Folge – hier reinhören!

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