Standortfrage: Protest von Goodyear-Mitarbeitern in Fürstenwalde gegen die Schließung ihrer Fabrik
Herr Beckmann, sind Sie als Chemie-Arbeitgeber-Präsident manchmal froh, es auf Gewerkschaftsseite mit der IG BCE zu tun zu haben und nicht mit der GDL?
Ich arbeite aus vielen Gründen sehr gerne in unserer Branche. Natürlich zählt dazu auch die vertrauensvolle Form der Sozialpartnerschaft, wie wir sie hier seit vielen Jahren pflegen. Wir – und ich meine die Gewerkschaft ebenso wie uns – sind es gewohnt, in den tarifpolitischen Auseinandersetzungen nicht das Trennende zu suchen, sondern das Verbindende. So gelingen immer wieder gute, sachorientierte Lösungen. Das zeigt sich auch an der aus beiden Perspektiven über viele Jahre sehr erfolgreichen Entwicklung der Chemieindustrie.
Finden Sie es in Ordnung, wie die GDL ihren Konflikt mit der Deutschen Bahn führt?
Ich will mich nicht in andere Tarifrunden einmischen. Ein Problem von möglicherweise allgemeinerer Bedeutung sehe ich allerdings schon: Werden Streiks nicht mehr als letztes Mittel der Tarifauseinandersetzung genutzt, sondern wird diese Karte schon zur Eröffnung gezogen, dann gerät etwas in Schieflage. Wenn das passiert, schadet es insgesamt der Kultur des sozialpartnerschaftlichen Interessenausgleichs, wie er sich hierzulande über Jahrzehnte bewährt hat.
Gibt es deshalb womöglich Anlass, Rahmenregeln für Tarifkonflikte zu ändern – notfalls auch per Gesetz?
Davon halte ich wenig, da es meiner Vorstellung von Sozialpartnerschaft im Kern widerspricht. Selbstverantwortung und Pragmatismus sind doch die Stärken, mit denen Sozialpartner zu Lösungen finden, die am Ende für beide Seiten vorteilhaft sind. Dies nun reglementieren zu wollen wäre eine Abkehr davon. Pragmatismus lässt sich nicht durch Regeln ersetzen, egal um welches Politikfeld es geht. Und wenn es trotzdem versucht wird, dann führt das allzu oft in eine Bürokratie, über deren Ausmaß wir uns am Ende alle beklagen.
Wie hart trifft der diesmal fast einwöchige Streik im Güterverkehr der Bahn die Unternehmen Ihrer Branche?
Wenn ich die vielfältigen Belastungen aus der jüngeren Vergangenheit zusammenzähle – Pandemie, eingeschränkter Schiffstransport wegen Niedrigwasser, enorme Energiekostenschübe –, dann kann ich nur sagen: Die Belastungsgrenze ist überschritten. Die Unternehmen haben genug damit zu tun, sich unter verschlechterten Standortbedingungen für eine solide Zukunft aufzustellen. Und trotzdem kommt jetzt auch noch eine solche Störung obendrauf.
Auch die Chemie- und Pharmaindustrie mit 580.000 Beschäftigten steht vor der nächsten Tarifrunde. Da der letzte Tarifabschluss – zweimal 3,25 Prozent – im Vergleich mit anderen Abschlüssen eher moderat aussieht: Dürfen die Beschäftigten dieses Mal auf etwas mehr hoffen?
Zunächst einmal sind die Erhöhungen aus dem vorigen Tarifabschluss noch sehr frisch. Die zweite Stufe von 3,25 Prozent ist zu Jahresbeginn wirksam geworden, und hinzu kommen noch die zweiten 1500 von insgesamt 3000 Euro Inflationsausgleichsprämie – brutto für netto. Es ist sicher nicht so, dass wir tarifpolitisch hinterherhinken. Das gilt erst recht, wenn ich die wirtschaftliche Lage unserer Industrie nach dem Rezessionsjahr 2023 betrachte: Das Produktionsvolumen bewegt sich zurzeit gerade einmal auf dem Niveau von 2005.
Also kein Spielraum für Zuwächse in der Tarifrunde?
Ich schildere nur die Lage und komme zu der Einschätzung, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen können. Erst einmal sind wir gespannt, was sich die IG BCE auf ihrer Vorstandssitzung kommende Woche als Tarifforderung vornimmt. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in der Einschätzung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht weit auseinanderliegen.
Wie steht der Chemiestandort Deutschland im internationalen Wettbewerb da?
Leider nicht gut, unsere Position hat sich zuletzt erheblich verschlechtert. Das zeigt sich besonders daran, wie stark die Wertschöpfung im Inland abgenommen hat. Wenn international aufgestellte deutsche Chemieunternehmen insgesamt ordentliche Geschäftsergebnisse ausweisen, wird eines sehr leicht übersehen: Der Anteil deutscher Produktion am Gesamterfolg ist empfindlich geschrumpft. Das muss allen ein Warnzeichen sein, die an einer starken Industrie interessiert sind.
Und haben Sie den Eindruck, dass die Gewerkschaft da auf Ihrer Seite ist?
Die IG BCE betont immer wieder, dass diese Fragen weit mehr als 1700 Unternehmen und 585.000 Beschäftigte unserer eigenen Branche betreffen. Sie betont zu Recht, dass viele Wertschöpfungsketten über alle Industriebereiche hinweg von der hiesigen Grundstoffproduktion abhängen. Das unterstreicht, was für eine Verantwortung die Wirtschafts- und Energiepolitik auf dem Pfad zur Klimaneutralität hat. Und genauso sollte die Tarifpolitik dem Rechnung tragen.
Vor 20, 30 Jahren war der Trend zu Standortverlagerungen ins Ausland das Hauptthema der Wirtschaftspolitik. Wo stehen wir heute im Vergleich zu damals?
Der Vergleich passt leider sehr gut. Wenn Unternehmen vor langfristigen Investitionsentscheidungen stehen, ist es heute viel schwieriger als vor einigen Jahren, genügend Argumente für den Standort Deutschland zu finden. Kunden sind ja nicht bereit, eine „Deutschlandprämie“ für inländische Produkte zu zahlen und uns damit die Probleme abzunehmen. Also bedarf es großer Anstrengungen, den Abfluss von Investitionen und Wertschöpfung zu stoppen.
Wie sehr schlägt da das Haushaltsparpaket der Ampelkoalition mit reduzierter Energiepreisentlastung und Transformationsförderung ins Kontor?
Unser Hauptproblem ist: Es fehlt den Unternehmen an berechenbarer Politik. Das Gezerre um das Haushaltspaket war ja im Grunde nur ein Symptom. Denn wie kann man bei Steuereinnahmen von bald einer Billion Euro überhaupt in die Not geraten, politische Rahmensetzungen für so wichtige Standortfragen wie das Strompreisniveau plötzlich wieder infrage stellen zu müssen? So aber wächst der Eindruck, dass die Zukunft des Industriestandorts in der Prioritätenfolge doch nicht so weit oben steht. Und das Bemühen der Sozialpartner um tarifpolitischen Interessenausgleich wird dadurch zusätzlich erschwert.
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