Österreich: Die FPÖ steckt im Spionagesumpf fest

FPÖ-Chef Herbert Kickl sah sich schon auf dem Weg, der nächste Bundeskanzler zu werden. Doch nun werden er und sein Umfeld von einer großen Spionageaffäre eingeholt – und die Grünen sprechen von »Heimatverrätern«.

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Österreich: Die FPÖ steckt im Spionagesumpf fest

Es ist eine filmreife Affäre, die sich in diesen Tagen rund um FPÖ-Chef Herbert Kickl abspielt. Seine Partei in Umfragen liegt in Umfragen stabil bei mehr als 30 Prozent, er macht sich schon länger Hoffnungen auf die Kanzlerschaft. Doch nun erscheinen Kickl und sein Team plötzlich als Teil des größten Spionageskandals der Zweiten Republik, der seit Wochen die Innenpolitik in Wien dominiert. Es geht für Kickl zunehmend um die Frage, die Politikerkarrieren immer schon in Gefahr brachten: Was hat er gewusst?

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Die jüngsten Enthüllungen begannen, als SPIEGEL und STANDARD ausführlich berichteten, wie der abgetauchte Wirecard-Manager Jan Marsalek seit Jahren für einen russischen Geheimdienst tätig ist. Doch dann weitete sich die Geschichte auf einen suspendierten Ex-Staatsschützer namens Egisto Ott aus. Er arbeitete einst für das Bundesamt für Verfassungsschutz – und er steht zusammen mit seinem früheren Chef im Verfassungsschutz im Verdacht, allerlei für Marsalek erledigt zu haben. So soll er offenbar hunderte unerlaubte Abfragen von Personendaten vorgenommen haben, zum Beispiel über den Journalisten Christo Grozev, den das russische Regime auf der Liste seiner Gegner gesetzt hat (Grozev arbeitet unter anderem für den SPIEGEL). Bislang bestreitet Ott den Spionage-Vorwurf.

In den letzten Tagen verdichteten sich jedoch die Indizien, dass auch Herbert Kickl und sein Umfeld in die Geschichte rund um Ott und Marsalek verwickelt sein könnten. Die Partei bestreitet den Vorwurf vehement, doch: Im Raum steht der Verdacht, dass sich womöglich ein symbiotisches Verhältnis zwischen Marsaleks Spionagezelle und Team Kickl entwickeln konnte. Und vergangene Woche wurde Kickl auch vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor allem dazu befragt. Es geht letztlich um die Frage, ob Kickl zusammen mit Marsaleks russischem Spionagenetzwerk gemeinsame Sache – vermutlich ohne die russischen Hintergründe zu kennen – gemacht haben könnte, um gegen politische Gegner vorzugehen. Kickl bestreitet das, gibt sich aber ingesamt schmallippig.

Indizien für Connection zwischen FPÖ, Ott und Marsalek

Es gibt immer mehr Hinweise, dass es eine Art von Connection zwischen Kickl, Ott und Marsalek gegeben haben könnte:

    Schon als Kickl 2018 Innenminister war, kam es zur Razzia im von der FPÖ argwöhnisch beäugten Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT), die Behörde war daraufhin stark in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt. Grundlage für die Durchsuchungen war ein Pamphlet, das der Staatsschützer Ott anonym verfasst haben soll. Ott war zuvor zwischenzeitlich vom Verfassungsschutz suspendiert worden, weil er geheime Informationen an Russland übermittelt haben soll, musste aber nach einem Gerichtsbeschluss weiterbeschäftigt werden.

    Der Ex-Verfassungsschützer Ott soll jahrelang ein vertrauensvolles Verhältnis zu einem der bis Mitte 2022 engsten Mitarbeitern Kickls unterhalten haben: Hans-Jörg Jenewein. Dieser soll Ott in Aussicht gestellt haben, aus Dank für seine Hilfe bei der Razzia, künftig wieder in der Behörde unterzukommen: »Wir werden für alle, die da mitgeholfen haben, eine gute Lösung finden.«

    Nachdem Kickls Gefolgsmann Jenewein nach der Ibiza-Affäre sein Abgeordnetenmandat verlor, soll ihm Ott einen Job bei Wirecard angeboten haben. Jenewein, der inzwischen nicht mehr FPÖ-Mitglied ist, möchte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Für ihn und Ott gilt die Unschuldsvermutung.

    Ott soll 2022 die Handys dreier Spitzenbeamter aus dem Innenministerium an den russischen Geheimdienst übergeben haben.

    Bereits 2019 scheint der Kickl-Vertraute Jenewein über Daten aus einem der Beamten-Handys verfügt haben. Das legen Ermittlungsakten nahe, die dem STANDARD vorliegen und über die Ö1 zuerst berichtet hatte.

Die Ermittler vermuten sogar, dass die FPÖ für Otts offenbar illegal beschaffte Informationen aus dem Verfassungsschutz bezahlt haben könnte – was die FPÖ bestreitet.

Es gibt noch weitere Aspekte der Affäre, die für Kickls Truppe nicht gut aussehen. Der Staatsschützer scheint nämlich auch politische Widersacher der FPÖ ausgespäht zu haben, auch wenn noch unklar ist, ob es eine Verbindung zur Partei gibt. So soll Ex-Staatsschützer Ott Datenbanken offenbar illegal nach Antifaschistinnen und Antifaschisten abgefragt haben.

Recherchierte Ott auch zu Machern des Ibiza-Videos?

Auf einer von Ott abgefragten Listen tauchen die Namen der beiden Männer auf, die das Ibiza-Videos initiiert haben – es kostete die FPÖ 2019 die Regierungsbeteiligung: Sicherheitsberater Julian Hessenthaler und Anwalt Ramin Mirfakhrai. Ebenfalls besorgte Ott sich womöglich Daten zu einer Person aus dem Umfeld des damaligen ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz. Das geht aus einem amtlichen Dokument vor, das SPIEGEL und STANDARD vorliegt. Die Betroffenen erfuhren erst vor wenigen Tagen, dass Ott sich mit ihnen befasste. Zufall oder nicht: Personen mit FPÖ-Nähe finden sich auf den bislang zugänglichen Abfragelisten Otts nicht.

So steckt Kickls FPÖ im Spionagesumpf fest, und das vor der Europawahl im Juni und der Parlamentswahl im Herbst. Wenn es nach den politischen Mitbewerbern geht, soll das auch so bleiben. Der Generalsekretär der konservativen ÖVP orakelt, dass die FPÖ womöglich »Österreich an Russland verkaufen wollte«. Und der grüne Vizekanzler Werner Kogler poltert mit Blick auf Kickls Truppe, das seien »Heimatverräter und keine Heimatschützer«.

Wie sehr die Spionageaffäre der in Umfragen nach wie vor führenden FPÖ tatsächlich schadet, bleibt abzuwarten. Doch nach den Enthüllungen der letzten Tage scheinen die Chancen Herbert Kickls auf das Kanzleramt zumindest beeinträchtigt.

Social-Media-Moment der Woche:

Die Bürgerinnen und Bürger der Tiroler Hauptstadt Innsbruck haben am Sonntag ein neues Stadtparlament gewählt sowie die beiden Kandidaten für die Bürgermeister-Stichwahl bestimmt. Hier alle Informationen im Überblick. Zu den Verlierern gehört der bisherige Abgeordnete Gerhard Depaoli, der mit seiner Liste »Gerechtes Innsbruck« nicht mehr den Wiedereinzug schaffte. In einem vielbeachteten Wut-Video beschimpfte der lokale Rechtspopulist die Wähler: »Ihr habt’s uns gar nicht verdient!«

Geschichten, die wir Ihnen heute empfehlen:

    Kommen Sie wohlbehalten durch die Woche!

    Herzliche Grüße aus Wien

    Ihr Oliver Das Gupta, Autor für SPIEGEL und STANDARD

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