Warum Landwirt Moritz Schäfer nicht demonstrieren geht

warum landwirt moritz schäfer nicht demonstrieren geht

Moritz Schäfer ärgert sich über die Agrarpolitik, nimmt aber nicht an den Protesten teil.

Vom Rand des Hofs kann man gut auf das Dorf Hopfgarten schauen, einem kleinen Ort in den Ausläufern des Vogelsbergs. Neben dem Betrieb von Moritz Schäfer schlängelt sich die Schwalm vorbei an den Wiesen für seine Kühe und dann weiter Richtung Dorf. Am Ortsschild hängen ein paar Stiefel, als Symbol für die Landwirte, die aufgegeben haben. Schäfer hält von dieser Symbolik nicht allzu viel. „Da muss man aufpassen“, sagt er und schlägt schnell den Bogen zu den Demonstrationen der vergangenen Woche. „Dort sind ja auch Galgen aufgetaucht. Das ist wirklich das Letzte.“

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Im Kuhstall im Demeter-Hof Schwalmtal

Schäfer, 37 Jahre alt, betreibt seit fast 13 Jahren den Hof am Ortsrand von Hopfgarten. Auf dem Kopf hat er schon einige graue Haare. Im grünen Overall führt er über den Hof. Ein typischer Landwirt ist Schäfer dabei nicht. Er hat den Betrieb nicht vom Vater übernommen. In der in Generationen denkenden Landwirtschaft ist seine Familie ein Quereinsteiger. Obendrein arbeitet Schäfer nach den Prinzipien des Demeter-Verbands, der eine noch konsequentere Version als die übliche biologische Landwirtschaft empfiehlt. Schäfer baut nicht nur drei oder vier Pflanzen an, sondern um die 20 Kulturen.

Schäfers Eigenständigkeit zeigt sich auch anderer Stelle. An der Protestwoche des Bauernverbands gegen die Streichung der Steuervorteile für den Agrar-Diesel, die an diesem Montag mit einem Protestzug in Berlin enden soll, nahm er nicht teil. Er teilt den Unmut der Kollegen über die geplanten Kürzungen. Er hatte auch schon fünf Mal seinen Traktor in Bewegung gesetzt, um in Berlin bei großen „Wir haben es satt“-Protesten für eine ökologische Agrarwende zu demonstrieren.

„Die gehen dann übermorgen zu Lidl“

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Die Kälber werden bei Demeter-Bauern Moritz Schäfer mit Kühen gehalten, die ihnen Milch geben.

An dem aktuellen Protest aber stören ihn die Plakate von Teilnehmern, auf denen pauschal gefordert wird, die Landwirte mit Vorschriften in Ruhe zu lassen. Doch die Gesellschaft habe bei der Transformation der Landwirtschaft zu Recht mitzureden, sagt Schäfer. Er wolle auch nicht demonstrieren, wenn Leute dabei seien, die „ihre aus meiner Sicht unbegründete Wut auf die Ampelregierung ausdrücken wollen, weil sie der Meinung sind, es gibt keinen menschengemachten Klimawandel, wir müssen die Ukraine verrecken lassen, damit wir wieder billiges Gas kaufen können und so weiter.“ Das sei keine echte Solidarität. „Die gehen dann übermorgen zu Lidl und kaufen sich den letzten Dreck und beschweren sich drei Tage später, weil es irgendwo stinkt, wenn wir Gülle gefahren haben.“

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Ein moderner Pflug auf dem Gelände.

In Hopfgarten versucht Schäfer, seinem ökologischen Anspruch gerecht zu werden. Als er den Hof übernahm, war es ein reiner Milchviehbetrieb der konventionellen Landwirtschaft: 95 Hektar, 50 Kühe. Jetzt ist die Bio-Milchproduktion immer noch das Hauptstandbein, aber Schäfer hat in alle Richtungen expandiert. Mittlerweile bewirtschaftet er 280 Hektar. Milchkühe hat er etwa 100, dazu kommt die Nachzucht mit noch mal etwa 120 Tiere. Vor allem aber ist Schäfer eingestiegen in den Anbau von Druschfrüchten, wie die Landwirte sagen: Getreide, Hülsenfrüchte, Ölsamen.

Ein politisch denkender Mensch

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Der Landwirt schließt das Tor zu einer Scheune. In den 13 Jahren auf dem Hof sei er nur zwei Mal jeweils für eine Woche in den Urlaub gefahren.

Linsen baut Schäfer in Mischkulturen an, weil sie so besser wachsen. Das erhöht aber den Aufwand beim Sortieren. Weil diese früher mal heimischen Kulturen für lange Zeit kaum mehr in nennenswerten Mengen angebaut wurden, gab es keine Betriebe mehr, zu denen er seine Ernte zum Sortieren und Reinigen bringen konnte. Also erwarb Schäfer die nötigen Maschinen selbst und wurde vom reinen Produzenten von Agrarrohstoffen zum Hersteller von Lebensmittel. Linsen, Getreide und Kichererbsen gibt es nun direkt vor Ort zu kaufen. Der Hof ist ziemlich nah dran an der Idealvorstellung einer Landwirtschaft vor Ort für den Ort, ohne große Wege und mit heimischen Sorten.

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Blick auf den Hof mit den verschiedenen Gebäuden.

Schäfer ist ein politisch denkender Mensch. Er erzählt gern von seinem Betrieb, wie er ausprobiert, was am Nordrand des Vogelsbergs landwirtschaftlich funktioniert, was sich verarbeiten lässt und was seinen Absatz findet. Aber man kann mit ihm auch über die Geschichte der Agrarpolitik in Deutschland und Europa, Freihandelsabkommen, die Welthandelsorganisation und die Ernährungssituation im Globalen Süden reden.

Ihm ist wichtig, dass die Landwirte nicht persönlich dafür verantwortlich gemacht werden, was in der Landwirtschaft schieflaufe. „Man darf nicht mit dem Finger auf die Leute zeigen und sagen: Ihr habt jetzt jahrelang alles vergiftet und kaputt gemacht“, sagt Schäfer. Es sei nötig, „dass jeder es schafft, die einzelnen Personen, die Landwirte, von dem zu abstrahieren, was in diesem System passiert.“

Brüssel, die Pächter und das Arbeitspensum

Die vergangenen beiden Jahre liefen für Schäfers Demeter-Hof wie für viele Bio-Betriebe schlecht. Die Direktzahlungen der Europäischen Union aus der ersten Säule, der größte Teil der Subventionen für die Landwirte, überschritten den erwirtschafteten Gewinn. Die öffentlichen Zuwendungen an seinen Betrieb machten insgesamt rund ein Fünftel des Jahresumsatzes von rund 750.000 Euro aus.

Die ursprünglichen Pläne der Regierung, sowohl die Kfz-Steuerbefreiung als auch die Diesel-Begünstigungen zu streichen, hätten für Schäfer einen Einkommensverlust von etwa 10.000 Euro bedeutet. Das entspricht dem finanziellen Schaden, wenn der Milchpreis um zwei Cent schwanke. Die 10.000 Euro seien immerhin etwas, auf das er sich hätte verlassen können, sagt Schäfer, im Vergleich mit den Schwankungen der Milchpreise. Die Rechnung illustriere, mit welch enormen Risiken die Landwirtschaft heute konfrontiert sei. Deshalb sprächen die Bauern und ihre Vertreter auf den Protesten bildlich vom Fass, das überlaufe.

Schäfer und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der er angehört, reden lieber über die Probleme der Landwirtschaft. Die Protestfahrten rückten die Probleme selbst nicht genügend ins Zentrum. Dann redet der sonst ruhige Mann sich in Rage und klagt über die lebensfremden Bestimmungen aus Brüssel, die den Alltag der Bauern bestimmten. Über die horrenden Preiserhöhungen, die Pächter manchmal verlangten. Oder darüber, dass nicht anerkannt werde, wie viel Arbeit die Landwirte in ihre Betriebe steckten. In den 13 Jahren auf dem Hof sei er nur zwei Mal jeweils für eine Woche in den Urlaub gefahren.

Mit 75 noch auf dem Traktor

Während Schäfer das erzählt, wird es etwas lauter in der Bauernstube aus dem 18. Jahrhundert. Der sechs Wochen alte Sohn auf seinem Arm lässt sich von der Aufregung des Vaters aber nicht stören. Ende November, als er auf die Welt kam, wollte sich Schäfer eine Woche „freischaufeln“, wie er sagt. Freitagnacht sei die Familie aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen. Am Montag habe es angefangen zu schneien. Prompt stand das Veterinäramt vor der Tür, weil ihn jemand angezeigt habe, da er noch Weidevieh draußen hatte.

„Die Leute denken, wenn da drei Schneeflocken auf eine ausgewachsene Kuh fallen, dann ist das jetzt Tierquälerei.“ Also sei er rausgefahren, um die Tiere reinzuholen. Als Tierhalter habe er immer Bereitschaft. Solche Fälle trügen mit zur Wut der Landwirte bei. „Ich glaube, die meisten Arbeitnehmer können sich all das nicht vorstellen.“

Die Familie, die ihm den Hof verkauft hat, wollte oder konnte das nicht weiter machen. Dafür, sagt Schäfer, habe sie etwas, das nur den wenigsten Landwirten vergönnt sei: Einen Ruhestand, in dem sie finanziell abgesichert seien und auch nicht mehr im Familienbetrieb aushelfen müssten, auch nicht in Teilzeit.

Die Landwirtschaft fuße auf unbezahlter Familienarbeit, das sei schon immer so gewesen, sagt Schäfer. Die alten Bauern könne man auch mit 75 Jahren noch auf ihren Traktoren durch die Orte fahren sehen. Ob er sich dort auch sehe? „Ich hoffe, ja. Ich glaube, der größte Wunsch von jedem Landwirt ist, dass eines seiner Kinder den Betrieb übernimmt.“ In dieser Hinsicht ist Schäfer dann doch ein ganz typischer Landwirt.

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