Die türkis-grüne Beton-Koalition

die türkis-grüne beton-koalition

Gießkanne aus Zement: Kanzler Nehammer und Vize Kogler beim Pressetermin im Rohbau.

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sein grüner Vize Werner Kogler rühren den Zement an. Zwar nicht persönlich, aber die türkis-grüne Regierungsspitze macht auf den letzten Metern ihrer Zusammenarbeit viel Geld für Beton frei. Nachdem gestern auch der Ministerrat dem über zwei Milliarden Euro schweren Subventionspaket zugestimmt hat, will die Republik viel Geld in die unter hohen Kosten ächzende Bauwirtschaft pumpen.

Land der Eigentümer

20.000 Wohnungen sollen neu gebaut werden, die Hälfte davon in Eigentum übergehen. Österreich solle ein Land der Immobilieneigentümer werden, sagte der Kanzler sinngemäß. Kogler brach derweil die Lanze für die Mieter – und den Klimaschutz. Denn noch einmal 5000 Wohnungen sollen saniert werden. Wohnraum für 44.000 Menschen soll entstehen.

In einem Rohbau in Wien-Floridsdorf sprach Nehammer am Dienstag von einer „salomonischen“ Lösung mit dem Koalitionspartner. Jeder bekommt ein Stück Torte für seine Wählerschichten, was sich in den Presseaussendungen widerspiegelt. Der Österreichische Wirtschaftsbund sieht „dringend benötigte Maßnahmen“ in dem Programm, Greenpeace bewertet eine Vereinfachung der Leerstandsabgabe „positiv“. Damit sollen die Bundesländer einfachere Handhabe bei der Besteuerung von Leerstand haben. Durch eine Kompetenzänderung des „Volkswohnungswesen“ weg vom Bund hin zu den Ländern, möchte man mittels höherer Abgaben Immobilienbesitzer zur Vermietung drängen. 

Handhabe gegen Leerstand

Viele Immobilien in Österreich stehen leer, schätzungsweise sogar jede Siebte. Ganz genau weiß man es allerdings nicht, weshalb nun auch eine genauere Datenerhebung erfolgen dürfte. Denn klar ist: Während Städte und Gemeinden in die Breite wachsen und damit Flächen versiegeln, wird vielerorts bestehender Wohnraum nicht genutzt.

Die Wiener Architektin und Professorin für Bauwirtschaft und Projektentwicklung, Gabu Heindl, verortet in Stadt und Land zwei ähnliche Tendenzen. In ländlichen Regionen „veröden die Ortskerne, während auf grüner Wiese Einfamilienhäuser gebaut werden“, sagt die Leiterin des Fachgebiets „Architektur Stadt Ökonomie“ an der deutschen Universität Kassel. Auch in der Stadt müsse man davon abrücken, die wenigen großen Grünflächen an den Rändern zu versiegeln.

Es wäre sinnvoller, 25.000 Wohnungen in bereits verbauten Gebieten zu unterstützen, sanieren oder umzubauen

„Innenstädte nachverdichten“

Heindl fordert im Gespräch mit profil eine Umkehrung der Vorzeichen. „Es wäre sinnvoller, 25.000 Wohnungen in bereits verbauten Gebieten zu unterstützen, sanieren oder umzubauen“, das Potenzial werde hier bislang nicht ausgeschöpft. So könne man beispielsweise Bürogebäude in den Innenstädten umrüsten, größere Wohnanlagen nachverdichten sowie Zinshäuser ausbauen.

Einer staatlichen Förderung von Wohneigentum kann die Wissenschafterin wenig abgewinnen. „Damit befeuert man das Auseinanderdriften der Schere zwischen Arm und Reich, denn das öffentliche Geld geht nicht in vielfach benötigte gemeinnützige Mietwohnungen, sondern in neue Häuser von Leuten, die schon finanziell abgesichert sind.“ Für Wohnsicherheit wäre es Heindl zufolge besser, Mietverträge zu entfristen, da der Effekt derselbe wäre. „Die Wohnung mag juristisch nicht Eigentum sein, aber ich kann sie mein Eigen nennen.“ 

Extrameile für Arme

Zur Floridsdorfer Baustelle kamen Politik und Medien weitestgehend mit dem Auto. Laut Google Maps ist die Strecke vom Ballhausplatz in etwa 20 Minuten zu bewältigen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln verdreifacht sich die Zeit allerdings. Wer steigenden Kosten in der Innenstadt zu entfliehen versucht, muss nun in einen PKW investieren oder mehr Zeit einplanen. Für Geringverdienende stellt dies nur bedingt das von Kogler beschriebene „Win-Win-Win-Paket“ dar. Die Verdrängung vulnerabler Gruppen in die Peripherie kann damit auch mit einer sozialen und kulturellen Abkopplung einhergehen.

Systemisches Problem

Wohnforscherin Heindl unterstreicht, dass es „für Menschen mit Mindestsicherung deutlich schwieriger ist, 30 bis 50 Prozent des Einkommens für die Miete aufzubringen“ als für Gutverdiener. „Oft sind die Betroffenen Frauen, die am Monatsende entscheiden müssen, ob sie heizen oder essen“, sagt die Professorin. Hier gelte es entgegenzuwirken, was trotz gestiegener Baukosten durchaus möglich wäre. „Das teuerste sind die Grundstückskosten, die sich in einer immensen spekulativen Veräußerungsschleife befinden“. Man müsse sich als Gesellschaft die Frage stellen, ob etwas „derart wertvolles und nicht-vermehrbares wie Grund und Boden am freien Markt zirkulieren“ solle.

Für solch grundlegende Veränderungen dürfte es bei den türkis-grünen Koalitionspartnern jedoch keinen Konsens geben. Lieber zeigt man sich in betonter Freundschaftlichkeit und verteilt Geschenke an die eigene Klientel.

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