Zigarettenkonzerne sehen ihr Zukunft in rauchfreien Alternativen

zigarettenkonzerne sehen ihr zukunft in rauchfreien alternativen

Qualmen, aber anders

Alexander Nussbaum, seine Kollegen nenen ihn nur Sascha, hat noch nie geraucht. Heute hat er sein Büro in einem schmucklosen Gebäude in einem Industriegebiet in Gräfelfing, vor den Toren Münchens – dem Deutschlandsitz von Philip Morris, Hersteller der bekanntesten Zigarette der Welt: Marlboro. Eigentlich wollte er den Job nicht, erzählt Nussbaum. Er hatte monatelang mit sich gerungen, schon abgesagt, dann aber doch zugesagt, berichtet er. Und eigentlich passt der Job in der Tabakindustrie auch nicht zu Nussbaum, sollte man meinen.

Der heute 53-Jährige studierte Bio­chemie in Tübingen sowie den USA und forschte zehn Jahre lang im Bereich Immunologie an akademischen Instituten in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Frankreich, unter anderem zu Impfstoffen gegen Virusinfektionen und Tumoren. Vielleicht ist es das Helfersyndrom, das Nussbaum umtreibt. „Zuvor habe ich für ein Biopharma-Unternehmen gearbeitet“, erzählt der Wissenschaftler: „Das hatte ein neues, innovatives Medikament zur Behandlung einer Leukämie entwickelt. Es kam immer erst dann zum Einsatz, wenn andere Therapien versagt hatten, bei ungefähr 100 Patientinnen und Patienten im Jahr. Jetzt will ich den Rauchern helfen, die sonst weiterrauchen würden.“

Nicht am Rauchstopp interessiert

Und das sind viele. Laut einer vom Schwerpunkt Suchtforschung und klinische Epidemiologie am Institut für Allgemeinmedizin der Heinrich-Heine-Uni­versität Düsseldorf durchgeführten Befragung rauchen derzeit knapp 34 Prozent der Bevölkerung, nur 11 Prozent von ihnen haben in den vergangenen zwölf Monaten ernsthaft versucht, dem Laster zu entsagen. Und die Aussichten sind nicht rosig: Rund 60 Prozent der Raucher in Deutschland rauchen schon seit gut 20 Jahren, und mehr als jeder zweite Raucher hat nicht vor, mit dem Rauchen aufhören.

Knapp zwei Drittel der Raucher im Alter von mehr als 65 Jahren sind nicht an einem Rauchstopp interessiert, und ein großer Teil von ihnen hat noch nie einen Rauchstopp unternommen. „Diesen Millionen Menschen wollen wir, wenn sie nicht schon ganz mit dem Rauchen aufhören, was immer das Beste ist, zumindest eine schadstoffreduzierte Alternative bieten“, argumentiert Nussbaum, dessen Aufgabe es ist, mit der Öffentlichkeit und insbesondere anderen Wissenschaftlern in den Dialog zu treten.

Da kann er sich nicht nur auf stehende Ovationen einrichten, wenn er angibt, dass der konzerneigene Tabakerhitzer Iqos, verglichen mit einer herkömmlichen Zigarette, 95 Prozent weniger Schadstoffe ausstößt. Widerspruch kommt zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. „We­niger Schadstoffe bedeuten nicht unbedingt bedeutend weniger Schaden“, hält Wolfram Windisch, Mediziner an den Kliniken der Stadt Köln und Professor an der Universität Witten/Herdecke, Nussbaum entgegen: „Hintergrund ist die nichtlineare Dosis-Wirkungs-Beziehung, das bedeutet, dass zum Beispiel zehn Zigaretten nicht doppelt so schädlich sind wie 5 Zigaretten täglich. So können niedrige Schadstoffkonzentrationen bereits erheblichen Schaden auslösen.“ Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin will auch nicht ausschließen, dass die Anzahl an Schadstoffen in einem Produkt zwar geringer sein mag als in einem anderen Produkt, dass aber die wirklich gefährlichen Schadstoffe sogar höher konzentriert sind.

„In den Großstädten sind wir stark, aber noch nicht auf dem Land“

Dringend rät der Mediziner von erhitztem Tabak ab. Und setzt noch einen drauf: „Unterschiedliche Ebenen der Toxizität durch unterschiedliche Temperaturen beim Verbrennen können sich“ bei all denjenigen, die sowohl Tabakzigaretten als auch erhitzten Tabak gebrauchen, „hier mitunter gefährlich kombinieren.“ Auf die­se Diskussion will sich Nussbaum nicht einlassen. Er sieht sich durch Studien bestätigt, wonach Raucher über Zwischenschritte der Tabakzigarette vollständig ent­sagen. „Zwischenschritte – wie Dual Use – sind normal, wenn Menschen eine Verhaltensänderung angehen. Raucher, die initial noch Zigaretten und E-Zigaretten nutzen, ersetzen in der Regel Zigaretten und reduzieren dadurch ihre Schadstoffaufnahme deutlich“, sagt Nussbaum.

Das Problem ist nur: Noch kann sich Nussbaum nur auf eine Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) beziehen. Dort heißt es: „Eine Studie von Forscherinnen und Forschern des BfR und des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Sigmaringen zeigt nun, dass Tabakerhitzer weniger schädliche Stoffe, wie zum Beispiel krebserregende Substanzen, erzeugen als herkömmliche Tabakprodukte.“ Langzeitstudien gebe es bei neu­en Produkten – Tabakerhitzer sind noch nicht einmal zehn Jahre auf dem Markt – eben noch nicht.

Dass der 53-Jährige bei Philip Morris überhaupt einen Job gefunden hat, verdankt er auch dem guten Vorsatz des Konzerns: Bis 2030 will der Marlboro-Hersteller mehr als zwei Drittel seiner Umsätze mit rauchfreien Produkten zu machen. Der Weg dahin ist aber nicht einfach. Immerhin: Mittlerweile hat sich Philip Morris mit seinem erhitzten Tabakprodukt Iqos einen Marktanteil am gesamten deutschen Tabakmarkt (Zigaretten und alternative rauchfreie Produkte) von mehr als 5 Prozent erarbeitet. Das klingt wenig, liegt aber auf dem Niveau einer gut eingeführten Zigarettenmarke. Zufrieden ist Torsten Albig, seit einigen Monaten Cheflobbyist von Philip Morris in Deutschland, trotzdem nicht. „In den Großstädten sind wir stark, aber eben noch nicht auf dem Land“, sagt er. Und mit Land kennt sich Albig aus. Er ist ehemaliger Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Auch mahnt der Ex-Politiker, dass sein Unternehmen die Hardcoreraucher älteren Jahrgangs noch nicht ausreichend erreiche – „hier müssen wir besser werden.“

Rauchfreie Zukunft

Das mag nicht nur daran liegen, dass der bisherige Markenauftritt von Iqos und seine schicken Verkaufsläden in den Fußgängerzonen der Millionenstädte der Republik eher ein junges Publikum ansprechen, sondern auch daran, dass Iqos für Bauarbeiter und Handwerker recht unpraktisch ist. Denn für den Konsum muss man eine Pause machen, braucht eine freie Hand. Sich den Tabakerhitzer wie eine Kippe in den Mundwinkel stecken, anstecken und weiterarbeiten: Das funktioniert eben nicht.

Und so sieht sich Philip Morris auch schnell dem Vorwurf ausgesetzt, sich mit seiner mutmaßlich weniger schädlichen Alternative weniger auf die älteren Raucher, die dem Laster nicht entsagen wollen, zu zielen, als vielmehr eine neue Generation von Nikotinkonsumenten, die eben nicht mehr beim Küssen nach Aschenbecher schmecken und riechen wol­len, heranzuziehen. Eine solche Kritik träfe nicht minder aber auch auf British American Tobacco (BAT) zu. Dort hat man sich ebenfalls einer rauchfreien Zukunft verschrieben. Der größte Tabakkonzern der Welt hat mit Glo einen Iqos-Konkurrenten im Sortiment, der aber weniger populär ist als jener von Philip Morris. Genaue Marktanteile gibt BAT nicht preis. Präsent in fast allen Tabakgeschäften ist der Hersteller von Lucky-Strike-Zigaretten in Deutschland derzeit insbesondere mit E-Zigaretten, bei denen der Nutzer eine ni­kotinhaltige Flüssigkeit inhaliert, die Un­ternehmens­angaben zufolge 98 Prozent weniger Schadstoffe enthalten soll als Tabakzigaretten.

Nächste Runde im Rennen um die Gunst der Nikotinabhängigen

Zwar bietet BAT unter der Marke Vuse auch eine wiederverwendbare E-Zigarette an, deutlich dominanter im Sortiment ist aber die Einwegvariante, die zum taschengeldfreundlicheren Preis von um die 10 Euro über den Ladentisch geht. Zum Vergleich: Die Tabakerhitzer von Philip Morris kosten zwischen 50 und 130 Euro, plus Sticks zu 7 Euro, das 20er-Päckchen. Eine Schachtel mit 20 Zigaretten ist in Deutschland derzeit für 8,20 Euro erhältlich. „Mit unserer Einweg-E-Zigarette Vuse Go bieten wir erwachsenen Nikotinkonsumenten und Rauchern, die einen Umstieg in Betracht ziehen, ein praktisches Produkt. Nach unserer Ansicht kann es Rauchern dabei helfen, auf eine im Vergleich zu Zigaretten risikoreduzierte Alternative zu Zigaretten umzusteigen“, begründet BAT auf Nachfrage.

Der Konzern betont auch, dass Kunden der Einweg-E-Zigarette auf die wiederverwendbare Variante hingewiesen werden sollen und auf ein Recyclingangebot für leer gepaffte E-Zigaretten. Auch Philip Morris hat eine wiederaufladbare E-Zigarette im Sortiment, diese aber in Deutschland nicht auf den Markt gebracht, auch um Jugendliche nicht zum Einstieg in den Nikotinkonsum zu bewegen. Dies sagte einst Albigs Vorgängerin Claudia Oeking.

Schon geht das Rennen um die Gunst der Nikotinabhängigen in die nächste und dann tabakfreie Runde, was ein wenig die Ernsthaftigkeit der großen Tabakkonzerne unterstreicht, der Kippe den Garaus zu machen. BAT bietet seit Neuestem unter dem Markennamen Veo in Deutschland Sticks, die aus einem rekonstituierten Rooibosblatt bestehen, das während des Herstellungsprozesses mit hochreinem Nikotin und Aromen versetzt wird. Das Produkt, das kompatibel mit dem Erhitzer von BAT ist, soll zunächst online und anschließend sukzessive zudem im Tabakhandel erhältlich sein. Auch Philip Morris hat mit Levia, ebenfalls kompatibel mit dem bestehenden Erhitzer, einen tabakfreien Stick im Portfolio. Wann dieser aber in Deutschland auf den Markt kommt, steht noch nicht fest.

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