Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Um Höcke zu verhindern, muss sich CDU eine Wagenknecht-Frage stellen

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Sahra Wagenknecht und Björn Höcke FOCUS online/dpa

Die CDU steht angesichts aktueller Umfragewerte vor der Frage, ob sie künftig auf Länderebene mit BSW regieren sollte, um die AfD in Regierungsverantwortung zu verhindern. Doch gibt es überhaupt eine Grundlage, um mit der Wagenknecht-Partei Kompromisse zu finden?

Von Gregor Gysi einmal abgesehen, war Sahra Wagenknecht für CDU-Politiker das linke Feindbild schlechthin. Dazu bot sich die einstige Anführerin der „Kommunistischen Plattform“ innerhalb der Linkspartei geradezu an.

Denn die promovierte Volkswirtin steht für vieles, was bürgerlich-konservative Politiker strikt ablehnen: Die Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftszweige, höhere Steuern und Sozialausgaben, eine Nato ohne Deutschland oder eine an Russland orientierte Sicherheitspolitik.

Seit Wagenknecht mit ihrer eigenen Partei, dem „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“, in die Parlamente einziehen will, wird sie von führenden Unionspolitikern jedoch mit anderen Augen gesehen. In Ostdeutschland sieht die CDU im BSW sogar einen möglichen Koalitionspartner.

BSW und CDU als Partner

Das gilt besonders für Thüringen mit seinen höchst unklaren Mehrheitsverhältnissen. Dort liegt laut neuesten Umfragen die AfD mit 29 bis 31 Prozent vor der CDU mit 21 Prozent und der Linken mit 16 bis 18 Prozent. Die SPD bleibt unter 10 Prozent, die Grünen befinden sich knapp über 5 Prozent, die FDP deutlich darunter.

Wagenknechts neue Truppe kommt auf 13 bis 15 Prozent. Sie hat offenbar Wähler von AfD und Linkspartei von sich überzeugen können. Ende 2023, also vor der Gründung des BSW, stand die AfD noch bei 34 und die Linke noch bei 20 Prozent.

Eines lässt sich mit Blick auf die Landtagswahl am 1. September vorhersagen. Für eine Neuauflage der rot-grün-roten Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wird es nicht reichen. Auch die vom CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt eigentlich favorisierte Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP hat nicht wirklich eine Chance.

Zwischen AfD und BSW müssen Entscheidungen getroffen werden

So könnte die Wagenknecht-Partei entscheiden, ob sie Ramelow zu einer neuen Mehrheit verhilft oder Voigt zum Ministerpräsidenten macht. Wagenknecht schließt jedenfalls eine Zusammenarbeit mit der CDU nicht aus.

Nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werde das BSW „sicher auch mit der CDU“ Gespräche führen, sagte Wagenknecht der FAZ.

In einem Interview mit dem „Spiegel“ unterstrich die einstige Linken-Ikone ihre Offenheit gegenüber der CDU noch deutlicher. Es sei doch besser, „wenn die CDU in Sachsen unter Ministerpräsident Michael Kretschmer mit uns regiert als mit der AfD.“

Kretschmer hält sich bisher gegenüber dem BSW bedeckt. Voigt macht dagegen keinen Hehl daraus, gegebenenfalls in Thüringen mit der Wagenknecht-Partei zusammenzuarbeiten.

Zersplitterung des Parteiensystems

Die hat, so Voigt, mit der Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf eine Spitzenkandidatin mit “relativ vernünftigen Vorstellungen” in den Bereichen Migrations- und Wirtschaftspolitik. Wolf war von Ramelow ein Ministerposten angeboten worden, wenn sie in der Linken bleibe; sie wechselte dennoch zum BSW.

Voigt über Wolf: “Da habe ich den Eindruck, da ist mehr Realitätssinn drin als bei den Linken oder bei manchen Teilen der Grünen”. Er schaue sich deshalb „erst einmal an, was die programmatisch wollen. Ausschließen tue ich das nicht.“

Das Wagenknecht-Bündnis sorgt für eine weitere Zersplitterung des Parteiensystems und macht Koalitionsbildungen für CDU, SPD, Grüne und FDP noch schwieriger. Je mehr Parteien vom linken oder rechten Rand in den Parlamenten vertreten sind, umso seltener reicht es noch für die gewohnten Zweier- oder Dreier-Bündnisse.

Für die CDU ist das alles noch komplizierter. Sie schließt nicht nur eine Koalition mit der in Teilen rechtsextremen AfD kategorisch aus, sondern ebenso mit der Linkspartei. SPD und Grüne haben dagegen keinerlei Berührungsängste mit der Linken, dem Nach-Nachfolger der SED.

Gegenüber dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ hat die CDU hingegen noch keinen Abgrenzungsbeschluss gefasst. Das war bisher auch kaum möglich. Schließlich verfügt die erst im Januar gegründete Partei noch nicht einmal über ein ausformuliertes Parteiprogramm.

CDU und BSW haben nur wenige Gemeinsamkeiten

Es bedarf allerdings einiger Fantasie, sich vorzustellen, dass ausgerechnet Wagenknecht mit bürgerlich-konservativen CDU-Politikern eine tragfähige gemeinsame Basis findet – ungeachtet der inhaltlichen Nähe bei manchen Themen.

In gesellschaftlichen Fragen wie der Identitätspolitik oder beim Gendern gäbe es keine Probleme. Beim Kampf gegen illegale Migration sind sich CDU und BSW ebenfalls einig. Generell hat die CDU bei der Zuwanderung größere Schnittmengen mit dem BSW als mit den Grünen.

In der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik weisen CDU und BSW dagegen keine Gemeinsamkeiten auf. Im Gegenteil: Das BSW ist wirtschafts- und sozialpolitisch eindeutig links positioniert, sogar links von der SPD. Dagegen steht es in der Außen- und Sicherheitspolitik der AfD recht nahe. In beiden Parteien geben „Putin-Versteher“ den Ton an.

So plädieren beide Parteien für einen schnellen Waffenstillstand zum Nachteil der Ukraine, wollen Kiew keine Waffen mehr liefern und sprechen sich für die Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland aus.

Beim BSW wie in der AfD herrscht zudem eine antiamerikanische Grundhaltung. Schließlich würden beide Parteien die europäische Integration in vielen Bereichen rückgängig machen. Das Ziel lautet übereinstimmend: Europa souveräner Staaten.

Entscheidende Frage für CDU: Lassen sich nicht gemeinsame Lösungen finden?

Nun lässt sich argumentieren, die Landesregierung in Erfurt hätte ohnehin keinen Einfluss auf Waffenlieferungen an die Ukraine oder Beschlüsse in Brüssel. Die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik wird ebenfalls überwiegend in Berlin gemacht.

Müssten sich dann – jenseits aller ideologischen Unterschiede – bei landespolitischen Sachfragen nicht gemeinsame Lösungen finden lassen? Schließlich gibt es, so ein beliebtes Argument, keine schwarzen Straßen und keine roten Krankenhäuser.

Für Mario Voigt und die gesamte CDU wird sich mit Blick auf die Wagenknecht-Partei dieselbe Frage stellen wie bei AfD und Linkspartei: Sind die Grundsatzpositionen so unterschiedlich, die Gräben so tief, dass sie eine pragmatische Zusammenarbeit ausschließen – ganz gleich auf welcher Ebene?

Anders gefragt: Kann man gemeinsam mit einer Partei in Thüringen beispielsweise Struktur- oder Verkehrspolitik machen, obwohl man deren außen- und sicherheitspolitischen Positionen für hochgradig gefährlich hält?

Falls das BSW bei den Landtagswahlen im Osten so gut abschneidet, wie es die aktuellen Umfragen zeigen, könnte die CDU im Herbst vor einer äußerst schwierigeren Frage stehen: Besser mit dem BSW regieren als gar nicht regieren?

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