Am Freitag fiel der Strompreis erstmals unter der Woche unter null. Was bedeutet das für Konsumenten, was für die Energiewende? Thomas Weber ordnet ein.
Wer Strom kauft, erhält Geld – was läuft da gerade im Schweizer Strommarkt?
Es war eine Premiere: Am letzten Freitag um die Mittagszeit ist der Strompreis am Schweizer Strommarkt unter null gefallen, auf minus 0,4 Rappen pro Kilowattstunde, wie der Verband unabhängiger Energieerzeuger mitteilte. Während Negativpreise an Wochenenden bereits regelmässig aufträten, geschehe dies an einem normalen Werktag zum ersten Mal.
Für den Verband zeigt dies, dass die Solarstromproduktion in der Schweiz «definitiv eine relevante Rolle» am Markt spiele. Heuer wird Solarstrom wohl erstmals 10 Prozent der Schweizer Stromproduktion ausmachen.
Welche Folgen haben Negativpreise? Thomas Weber, Energieökonom bei der Axpo, gibt Antworten.
Herr Weber, normalerweise bezahlen wir für den Strom. Am Freitag haben Käufer von Strom aber Geld von den Produzenten erhalten. Warum?
Negative Preise entstehen, wenn ein hohes oder höher als erwartetes Stromangebot auf eine tiefe Nachfrage trifft. Als Ökonom schmerzt es mich, wenn für die Vernichtung von Strom, der ja einen Wert hat, sogar noch bezahlt wird.
War am Freitag das sonnige Wetter schuld?
Auch, ja. Das erhöhte Angebot kommt von Fotovoltaik, aber auch von Wind. Die Betreiber von vielen dieser Anlagen produzieren ungeachtet der Nachfrage und des Preises stur durch. Wir haben noch zu wenig flexible Nachfrage, die das auffangen kann.
Wind und Fotovoltaik seien nicht steuerbar, sagt Axpo-Experte Thomas Weber.
Sind nicht die konventionellen Kraftwerke wie AKW schuld, weil sie ihre Produktion nicht schnell genug drosseln können?
Diese lassen sich in der Tat nur langsam steuern. Aber immerhin sind sie überhaupt steuerbar. Ein System nur mit konventionellen Kraftwerken produziert daher praktisch keine negativen Preise. Wind und Fotovoltaik dagegen sind nicht steuerbar.
Man könnte Wind und Solaranlagen doch abstellen.
Ja, bei guter Regulierung passiert dies. Leider gibt es – gerade in Deutschland – aber zu viele Betreiber, die für den produzierten Strom noch einen fixen Einspeisetarif erhalten. Das führt zu einem «produce-and-forget»-Verhalten.
An Wochenenden sind negative Preise schon länger keine Seltenheit mehr. Warum?
Dann ist die Nachfrage jeweils systematisch tiefer, weil Industrie und Gewerbe viel weniger Strom nachfragen. Treten negative Preise an Werktagen gehäuft auf, wird sich das Phänomen auch an den Wochenenden verschärfen.
Welche Folgen hat das für Stromkonsumenten?
Zuerst einmal keine. Aber: Zahlt Ihr Stromversorger drauf, zum Beispiel wenn er Solarstrom zu Fixpreisen einkauft und dann am Markt zu tiefen oder negativen Preisen verkauft, wird er Ihnen das über kurz oder lang verrechnen.
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Zu einem anderen Anbieter, der das besser macht, können Sie ja nicht wechseln, weil der Strommarkt in der Schweiz erst für Grossverbraucher liberalisiert ist.
Am 9. Juni stimmt das Schweizer Volk über den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien ab. Bedeutet ein Ja mehr Stromüberschuss an sonnigen und windigen Tagen?
Ja. Ich bezweifle allerdings, dass es quantitativ so viel ausmacht. Wir «erben» das Problem weitgehend von Deutschland. Am letzten Wochenende etwa produzierte Deutschland tagsüber wegen Wind- und Solarkraft einen Stromüberschuss von 10-15 Gigawatt an Leistung – das ist knapp der doppelte Durchschnittsverbrauch der Schweiz. Dieser Strom verteilt sich dann in die umliegenden Länder.
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Die Schweiz für sich genommen hätte mit ihren Wasserkraft- und Pumpspeichern eine gute Flexibilität.
Wäre es sinnvoller, den Strom lokal zu speichern?
Das würde das System flexibler machen. Vor allem in Wasserstoff als Energiespeicher werden grosse Hoffnungen gesetzt. Wir erwarten, dass sich Wasserstoff und Erneuerbare gut ergänzen.
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Beispielsweise werden sich Solarproduzenten in Spanien freuen, wenn ihr Strom mittags zur Wasserstoff-Elektrolyse eingesetzt wird.
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Solarproduzenten werden in Spanien wenig bis nicht gefördert, aber es gibt so viel Sonne, dass PV-Parks sehr günstig produzieren. Sie vermarkten dann in der Regel am Markt, sind also den tiefen (Mittags-)Preisen ausgesetzt. Sie profitieren, wenn in Zukunft und staatlich gefördert Wasserstoff-Elektrolyseure zusätzliche flexible Nachfrage bringen.
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Aktuell gibt es aber noch kaum Wasserstoffproduktion.
Sollte in Zukunft jeder Hausbesitzer mit Solaranlage einen Stromspeicher kaufen?
Ich bezweifle, dass lauter verteilte kleine Speicher die effizienteste Lösung sind.
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Ich glaube an Skaleneffekte bei den Speichern.
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Für die Betreiber grosser Anlagen ergäben solche Speicher aber Sinn.
Wie schätzen Sie das Potenzial von Elektroautos als Speicher ein?
Gut gesteuertes Laden von Elektroautos wird in Zukunft sicher helfen, als einer von mehreren Faktoren.
Die Politik will mehr Windstrom: Windpark Sainte-Croix im Kanton Waadt.
Drohen negative Strompreise die Energiewende zu bremsen?
Ohne geschickte Regulierung: ja. In Deutschland zum Beispiel hat an windigen Tagen der Windparkbetreiber einen hohen Stromertrag, erhält aber nur wenig für seinen Strom
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, weil insgesamt viel Wind im System ist, was die Preise senkt, zum Teil bis in den negativen Bereich
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. Wir sprechen hier von «Kannibalisierung». Wenn jedoch der Staat wie in Deutschland willens ist, diesem Phänomen mit immer mehr Subventionen zu begegnen, bremst es den Ausbau nicht.
Halten Sie das für geschickt?
Nein. Mit der Einmalvergütung hat die Schweiz mittlerweile ein besseres Fördersystem als zuvor mit der kostendeckenden Einspeisevergütung. So müssen die Betreiber selbst rechnen, ob es sich lohnt, einen lokalen Speicher zu bauen oder ob es günstiger ist, die Produktion für diese Phase einzustellen. Auch Deutschland geht nun in diese Richtung, hat aber höhere «Altlasten». Ich denke, die Negativpreise sind ein temporäres Phänomen, das hoffentlich ab 2030 verschwunden sein wird.
Kommen solche Preissignale auch bei gewöhnlichen Hausbesitzern mit einer eigenen Solaranlage an?
Hier wird es deutlich schwieriger. Der Anreiz zum Eigenverbrauch ist da, der Überschuss wird gegen Abnahmevergütung eingespeist. Diese Tarife sind meist fix, das heisst: noch nicht «clever».
Werden die erneuerbaren Energien mit Speicherlösungen am Ende nicht viel teurer?
Wenn ein System mit viel Erneuerbaren mit zusätzlicher Flexibilität ergänzt werden muss, kostet das etwas. Diese Mehrkosten werden am Ende wohl beim Konsumenten landen. Die Alternativen kosten aber auch, also etwa Gas- oder Kernkraftwerke bauen oder auf den Import setzen.
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