174 erschien Goethes „Werther“, fünfzig Jahre später hatte er das Buch satt
So sah der berühmteste deutsche Roman vor 250 Jahren aus: Titelkupfer der Originalausgabe der „Leiden des jungen Werther“.
Als die Weygandsche Buchhandlung, Goethes früher Verlag, im Jahr 1824 und damit fünfzig Jahre nach der Erstausgabe wieder eine Neuauflage der „Neuen Leiden des jungen Werther“ plante, antwortet Goethe zunächst ganz gelassen, denn schon sehr früh war ihm der außerordentliche Erfolg dieses gigantischen und wirkungsmächtigen Bestsellers auf die Nerven gegangen – bereits 1775, im Jahr nach dem ersten Erscheinen, hatte er gestöhnt: „Ich bin das ausgraben und sezieren meines armen Werthers so satt.“ Hinlänglich beschrieben sind die Werther-Mode, die fiebrige Erwartungshaltung dem Werk gegenüber, sogar steigende Selbstmordraten, eine Art Werther-Gefühlsepidemie hatte sich breitgemacht. Und nun also wieder eine Neuauflage? Goethes Brief klingt nicht gerade enthusiastisch: „Wenn Sie, meine geehrteste[n] Herren, eine nochmalige Ausgabe der Leiden des jungen Werthers […] gegenwärtig veranstalten wollen, so wüßte ich nichts zu erinnern.“ Wenn ihm aber „zu rechter Zeit“ ein kurzes Vorwort gelänge „rhythmisch oder prosaisch“, so wolle er dieses schicken. Was aber „in jedem Falle dem Autor an Honorar und Exemplaren zu Gute käme“, das, schreibt Goethe (lässt er schreiben), „sey Ihrem billigen Ermessen anheimgegeben“.
Das klingt alles ganz liberal und harmlos, aber schon der Freund und Kollege Schiller wusste über Goethe: „Liberalität gegen seine Verleger ist seine Sache nicht.“ Und Wieland spricht vom Doppelcharakter eines Buches, nämlich Geist und Ware zu sein, und daraus resultierenden Konflikten zwischen Autor und Verleger. Goethe selbst wünscht gelegentlich den Verlegern eine „eigene Hölle“.
In dieser konkreten Situation aber musste, trotz aller Gelassenheit, ein kundiger Vermittler her, und Goethe hatte wie so oft das Glück, einen geeigneten Mann zu finden. Es war der Leipziger Schriftsteller Johann Friedrich Rochlitz, seit Langem mit ihm freundschaftlich verbunden, den nun eine Bitte von Goethe erreichte, seine „gefällige Mitwirkung in einer kleinen, obschon für mich nicht unbedeutenden Angelegenheit“ zu leisten. Goethe berichtet ihm, dass sein „Werther“ zuerst bei Weygand verlegt worden sei, der Verlag habe dann „einige weitere Ausgaben“ gemacht, er erinnere sich „nicht wie viel“, und man plane dort jetzt, „eine nochmalige zu versuchen“. Dagegen, so Goethe, sei nichts einzuwenden, und der Abdruck sei auch wohl schon „im Gange“, man wünsche ein Vorwort und stelle ansonsten „das Honorar meinem billigen Ermessen anheim“. Allzu viel erhoffte er sich davon nicht: „Nun ist hier freylich kein großer Gewinn zu hoffen“, doch Rochlitz sei ja selbst Autor und habe „mit den Verlegern genugsamen Verkehr“, um zu wissen, was in dieser Sache recht und billig wäre. Und, das klingt schon fast modern, „nach den großen Veränderungen im Buchhandel gegenwärtig“ sei dieses als ein ganz neues Geschäft anzusehen.
Krone der Dreistigkeit und Scheinheiligkeit
Goethe hatte wie erwähnt in den vergangenen Jahrzehnten seine spezifischen Erfahrungen mit Verlegern gemacht, sich vielfach mit unberechtigten Nachdruckern und Raubdruckern herumärgern müssen, sein Misstrauen war also mehr als berechtigt. So waren schon 1775/76 bei Heilmann in der Schweiz „Des Herrn Göthe Sämtliche Wercke“ erschienen, ein unberechtigter Nachdruck. Auf ein besonders dreistes und scheinheiliges Vorgehen des Berliner Verlages Himburg weist Siegfried Unseld in seinem Buch „Goethe und seine Verleger“ hin: Das Verlagshaus brachte gleich drei unberechtigte Ausgaben von Goethes Schriften heraus, zwar gut ausgestattet auf holzfreiem Papier und sogar mit Chodowiecki- Stichen, doch der Autor ging leer aus.
In „Dichtung und Wahrheit“ schreibt Goethe über diesen Fall, spricht auch von der großen Frechheit dieses unberufenen Verlegers, und als Krone der Dreistigkeit und Scheinheiligkeit vermerkt er noch, dass Himburg bereit war, „wenn ich es verlangte, etwas Berliner Porzellan zu senden“. Selbst bei seinen späteren Verlagen, Göschen und Cotta, sollte es zu Nachdrucken kommen, von denen Goethe selbst nichts wusste. Und auch Weygand, von dem hier die Rede ist, stellte sich später als unerlaubter Nachdrucker heraus.
Zunächst einmal aber war Rochlitz an der Reihe, der, wie immer effektiv und zuverlässig in Sachen Goethe, schon nach kurzer Zeit antwortete, dass er den „Auftrag“ gern übernommen habe, und seine „Unterhandlungen“ seien „so eben erst zu Ende gekommen“. Goethe habe sein Verlangen ja „nicht in Zahlen ausgesprochen“, und Rochlitz’ Verhandlungspartner beim Verlag sei zunächst durch die Leipziger Messe verhindert gewesen, und, „was das Schlimmste“ gewesen sei, er habe wohl andere Ansichten, die „zwar dem Buchstaben nach rechtlich“ gewesen seien, doch „nichts desto weniger den meinigen entgegenstanden“. Er wolle Goethe davon aber gar nichts „vorharfen“ und fügt noch an: „Sie kennen ja die Herrn!“
Er, Rochlitz, habe mit einem Herrn Jasper gesprochen, der der jetzige Besitzer der Buchhandlung sei, doch der gehöre immerhin „unter die besseren“. Und: „Das Endresultat von seiner Seite – wahrhaftig das beste, das ich irgend erlangen können – ist: Herr Jasper übersendet Ihnen, sobald er die Erlaubnis, das Werk noch einmal zu drucken und die bezeichnende Abänderung des Titels von Ihnen, das einleitende Gedicht von mir hat, funfzig Stück Ducaten.“
Das Recht der poetischen Sorgfalt
Rochlitz hatte somit seinen Auftrag umsichtig erfüllt. Er bittet Goethe noch „um ein baldiges Ja oder Nein, das ich dem Manne mittheilen darf“, und Goethe antwortet ihm umgehend, stattet „den allerverbindlichsten Dank für die geneigte Vermittlung“ ab und sichert Rochlitz zu, dass der schon „im Beygehenden“ erhalte, was „das Nötige zur Beendigung des kleinen Geschäfts“ sei. Das sah so aus: „Ich bedinge mir also funfzig vollwichtige Ducaten, wie man sie im Oesterreichischen ohne Widerrede annimmt, sogleich durch die Post gesendet; auch in der Folge 24 Exemplare gutes Papiers, einige hübsch gebunden, wie man es in Leipzig versteht und ausübt.“ Titel und Gedicht solle man abdrucken und ihm den Bogen zur Durchsicht schicken, falls das nicht möglich sei, möge Rochlitz bitte die Revision übernehmen, „damit der poetischen Sorgfalt ihr Recht widerfahre“. Goethe ist zufrieden.
Noch am selben Tag, dem 22. Mai 1824, wird ein Brief an den Verlagsinhaber Johann Christoph Jasper geschickt, der die Forderung von „funfzig vollwichtigen Ducaten“ und vierundzwanzig Exemplaren „auf gut Papier“ enthält. Einige davon, so wird noch präzisiert, sollten doch bitte „sauber und zierlich gebunden“ werden, „wie man es in Leipzig versteht“.
Im Sommer kann Goethe dann schließlich an die Weygandsche Buchhandlung melden, dass die „50 Stück Ducaten“ bei ihm eingetroffen seien; ein Bildnis von ihm solle noch beigefügt werden, und er verweist auf die Büste von Rauch in Berlin, „deren Modell ich als sehr gelungen kenne“. Kurz vor seinem Geburtstag Ende August ergehen zur Neuausgabe des „Werther“ noch einmal genaueste Anweisungen. Titelbogen werden mit Anmerkungen zurückgesandt, die folgenden Blätter hat Goethe „zu leichterer Übersicht“ paginiert: Schutztitel, Haupttitel, einleitendes Gedicht, erste Abteilung und so weiter. Im Oktober des Jahres klingt sein letzter Brief an den Verlag in dieser Sache durchaus freudig: Goethe zeigt sich „höchlich erfreut dieses kleine Geschäft zu beiderseitiger Zufriedenheit beendigt zu sehen“. Aber „ein neues ästhetisches Werk“, wie der Verlag es wohl von ihm gewünscht hatte, das möchte ihm doch auf seine alten Jahre „wohl schwerlich gelingen“. Man solle doch zufrieden sein, „das funfzigjährige Jubiläum des guten Werthers mit einander so löblich gefeyert zu haben“.
Werner Völker ist Publizist. Zuletzt erschien in der Insel-Bücherei die Neuausgabe seines Buchs „Weihnachten bei Goethe“.