Ecuadors Präsident wollte sich wohl profilieren, als er Sicherheitskräfte in Mexikos Botschaft eindringen liess. Das diplomatische Klima in Lateinamerika wird zunehmend rauer. Im Netz beschimpfen sich die Staatschefs der Region aufs Übelste.
Der frühere Vizepräsident Ecuadors, Jorge Glas, kommt beim Hochsicherheitsgefängnis La Roca an, nachdem ihn zuvor Sicherheitskräfte aus der mexikanischen Botschaft geholt haben. (6. April 2024)
Als Gefängnismitarbeiter am Montagmorgen die Zelle von Jorge Glas aufsperrten, war dieser nicht ansprechbar. 54 Jahre alt ist der ehemalige Vizepräsident von Ecuador, der wegen Korruption verurteilt wurde und im Dezember in die mexikanische Botschaft in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito floh.
Ein bitterer Streit entbrannte daraufhin zwischen den beiden lateinamerikanischen Ländern: Ecuador forderte eine Auslieferung, Mexiko weigerte sich. Vergangenen Freitag stürmten dann ecuadorianische Einsatzkräfte das Gebäude. Glas wurde abgeführt. Das Wochenende verbrachte er im Gefängnis, bevor er Montagmorgen in ein Spital verlegt wurde. Die genauen Gründe sind unklar, von verweigerter Nahrungsaufnahme ist die Rede, aber auch von einem möglichen Selbstmordversuch mit Tabletten.
Grundsatz der Diplomatie gebrochen
Die Episode facht die ohnehin schon angespannte politische Lage weiterhin an. Denn Botschaften geniessen eigentlich einen besonderen völkerrechtlichen Schutz. Auch darum suchen Menschen immer wieder Zuflucht in ihnen. Der bekannteste Fall ist sicher der von Wikileaks-Gründer Julian Assange: Er lebte für mehrere Jahre in London in der ecuadorianischen Botschaft. Ausgerechnet.
Luftaufnahme der mexikanischen Botschaft in Quito.
Dass nun das südamerikanische Land selbst einen der ehernen Grundsätze der Diplomatie gebrochen hat, ist bittere Ironie. Regierungen in ganz Lateinamerika haben das Vorgehen umgehend scharf verurteilt. Und längst haben auch Länder aus Europa nachgezogen, ausserdem die Vereinigten Staaten und die Vereinten Nationen. Generalsekretär António Guterres liess am Sonntag mitteilen, er sei «zutiefst beunruhigt» über die Vorkommnisse.
Klage Mexikos vor dem IGH
Mexiko selbst hat mittlerweile sein gesamtes Botschaftspersonal aus Quito abgezogen und dazu angekündigt, eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) einzureichen. Und nach tagelangem Schweigen äusserte sich am Montagnachmittag auch Ecuadors Präsident Daniel Noboa zu dem Vorfall.
Es war aber eine Rechtfertigung, keine Entschuldigung, trotz aller internationaler Kritik. Er habe, sagte der Staatschef, eine «aussergewöhnliche Entscheidung» getroffen, um die «nationale Sicherheit, die Rechtsstaatlichkeit und die Würde» der Ecuadorianer zu schützen: «Wir dulden keine Straffreiheit für Kriminelle, Gauner, Korrupte oder Narkoterroristen».
«Aussergewöhnliche Entscheidung» getroffen: Ecuadors Präsident Daniel Noboa.
Die rigorose Haltung der ecuadorianischen Regierung erklärt sich zum einen aus ihrer speziellen Situation. Erst seit Ende November ist Präsident Noboa im Amt. Er ist Spross einer der reichsten Familien des Landes und gerade einmal 36 Jahre alt. Noboa hat den Menschen in seiner Heimat versprochen, die katastrophale Sicherheitslage wieder in den Griff zu bekommen: Drogenbanden haben das Land als Umschlagplatz für Kokain entdeckt, die Mordrate ist sprunghaft angestiegen und im Wahlkampf vergangenes Jahr wurde sogar einer der Kandidaten auf offener Strasse niedergeschossen.
Entführungen und Erpressungen
Noboa tritt gerne als Macher auf, mit Sonnenbrille, kugelsicherer Weste oder Lederjacke. Er will Gefängnisse ausbauen sowie Polizei und Streitkräfte besser ausstatten. Zwei Dutzend Drogenbanden wurden von ihm als terroristische Organisationen eingestuft, Soldaten patrouillieren nun auf den Strassen. Zunächst ging die Gewalt tatsächlich zurück, allerdings nur für kurze Dauer. Mittlerweile gehen die Morde in Ecuador weiter, ebenso wie Entführungen und Erpressungen.
Staatschef Noboa ist zwar immer noch sehr beliebt, doch zuletzt sind seine Zustimmungswerte gesunken, von 85 Prozent auf 74 Prozent. Weil die letzten Wahlen unplanmässig stattfanden, muss sich Noboa schon in rund einem Jahr wieder an den Urnen behaupten und für Ende April steht dazu noch ein Referendum an: Die Wähler sollen abstimmen, ob die Befugnisse des Militärs weiter ausgeweitet werden sollen und Soldaten auch dauerhaft im Inneren und in Gefängnissen eingesetzt werden dürfen.
Die Vermutung liegt nahe, dass Noboa den diplomatischen Eklat mit der mexikanischen Botschaft bewusst herbeigeführt haben könnte, um sich so vor den Wählern als kompromissloser Kämpfer gegen Straflosigkeit zu profilieren.
«Klub der kleinen Penisse»
Auf der anderen Seite ist die Episode aber auch ein weiteres Beispiel für einen allgemeinen und durchaus besorgniserregenden Trend: Das diplomatische Klima in Lateinamerika wird zunehmend rauer. Im Netz beschimpfen sich die Staatschefs der Region teilweise aufs Übelste: Kolumbiens Präsident Gustavo Petro teilt da zum Beispiel mit Hitler-Vergleichen gegen seinen Amtskollegen Javier Milei in Argentinien aus.
Linkspopulist: Mexikos Statschef Andrés Manuel López Obrador.
Dieser poltert zurück: Petro – der tatsächlich mal Mitglied einer linken Guerilla war – sei ein «mörderischer Terrorist», sagt Milei, nur um dann gleich selbst noch in Richtung Mexiko zu stänkern. Dessen links-populistischen Präsidenten, Andrés Manuel López Obrador, nannte der rechtslibertäre argentinische Staatschef einen «Ignoranten» und seine Anhänger einen «Klub der kleinen Penisse». In Mexiko wollte man das nicht unbeantwortet stehen lassen: Milei sei ein «Faschist», konterte López Obrador.
Argentinien will Gendarmen nach Venezuela schicken
So geht das ständig und längst folgen auf die Worte auch Taten: Nachdem in Venezuela Ende März sechs Oppositionsaktivisten Zuflucht in der argentinischen Botschaft gesucht hatten, drehte das Regime in Caracas dem Gebäude kurzerhand Wasser und Strom ab. Die Folge waren heftige Proteste aus Argentinien; die Regierung in Buenos Aires kündigte an, Gendarmen nach Venezuela schicken zu wollen, zum Schutz der diplomatischen Vertretung.
So gesehen ist die Erstürmung der mexikanischen Botschaft in Ecuador nur eine weitere Eskalation. Immerhin: Der Zustand von Jorge Glas, dem festgenommenen Ex-Vizepräsidenten, ist laut Ärzten mittlerweile stabil. Sobald er aus dem Spital entlassen ist, soll er allerdings in ein ecuadorianisches Gefängnis zurückkehren.
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