Baerbock hält FDP-Papier angesichts der Weltlage für problematisch

Streit in der Ampel-Koalition: Ein 12-Punkte-Plan der FDP sieht schärfere Regeln beim Bürgergeld und eine Abschaffung der Rente mit 63 vor. Die Sozialdemokraten reagieren empört, Außenministerin Baerbock kommentiert das Papier ablehnend. Wolfgang Kubicki kontert mit dem Tempolimit.

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Baerbock hält FDP-Papier angesichts der Weltlage für problematisch

Das Präsidium der FDP verabschiedete am Montag ein 12-Punkte-Papier „zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“. Es soll am Wochenende beim Bundesparteitag der Liberalen beschlossen werden. Zu den Punkten zählen die Abschaffung der Rente mit 63 Jahren, steuerliche Vorteile für das Leisten von Überstunden und ein Bürokratieabbau auf mehreren Ebenen, unter anderem auch im Bausektor. In der Ampel-Koalition ringen SPD, Grüne und FDP um den Umgang mit den FDP-Vorschlägen für schärfere Regeln beim Bürgergeld. Widerstand kommt vor allem aus der SPD. Die Grünen sendeten am Montag unterschiedliche Signale.

Außenministerin Annalena Baerbock hält die Vorschläge angesichts der aktuellen Weltlage für problematisch. „Wir sehen, dass diese turbulente Weltlage, gerade auch für Demokratien eine große Herausforderung ist, weil Autokratien ganz gezielt die jetzige, so volatile Situationen nutzen, um Demokratien zu destabilisieren“, sagte die Grünen-Politikerin auf die Frage, was sie vom Konzept der FDP-Spitzen für eine Wirtschaftswende halte. „Deswegen brauche es gerade in solchen Momenten, gerade vor der Europawahl, Geschlossenheit zwischen (…) allen demokratischen Akteuren in unseren Gesellschaften.“ Inhaltlich äußerte sich Baerbock nicht zu dem Papier.

Später reagierten die Grünen betont gelassen: „Wir arbeiten an den Lösungen, die wir miteinander vereinbaren und versuchen so, das Land voranzubringen“, sagte Parteichef Omid Nouripour in Berlin. „Dass wir unterschiedliche Ansichten haben, dass auf Parteitagen verschiedener Parteien verschiedene Beschlüsse gefasst werden, ist alles noch nicht besonders neu.“

„Die Koalition arbeitet, und das wird nicht sich ändern, weil es Parteitagsbeschlüsse gibt“, betonte Nouripour. „Wenn es so wäre, könnten wir das Arbeiten einstellen. Machen wir nicht, sondern wir konzentrieren uns darauf, dass wir das, was wir miteinander vereinbaren, auch umsetzen.“ Der Koalitionsvertrag gelte. Die Koalition habe viel miteinander hinbekommen, und es gebe noch einiges zu tun.

SPD ist empört über FDP-Papier

Die Vorschläge waren am Wochenende bekannt geworden – das Papier sorgte bereits vorab für Streit in der Ampel-Koalition. Die SPD-Politiker Lars Klingbeil und Kevin Kühnert reagierten mit scharfer Kritik auf mögliche Einschnitte in der Sozialpolitik.

„Es ist richtig, dass wir etwas tun müssen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze hier im Land zu sichern und neue zu schaffen“, sagte SPD-Chef Klingbeil der „Bild am Sonntag“. „Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig.“

Auch Klingbeils Parteifreund, SPD-Generalsekretär Kühnert, wies die Vorschläge der FDP scharf zurück. „Nun ist die Katze also aus dem Sack: Das Wirtschaftswende-Konzept von Christian Lindner besteht vor allem aus der Beschimpfung von Arbeitnehmern“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Die SPD lässt nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird. Grundlage der Ampel-Koalition ist und bleibt der Koalitionsvertrag“, sagte Kühnert weiter.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Sozialexperte Helge Lindh (SPD) sagte der „Bild“: „Wenn die FDP das ernst meinen würde – also jetzt umzusetzen gedenkt – dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition.“

Kubicki: SPD fordert jeden zweiten Tag Steuererhöhungen

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki wies die Vorwürfe aus den Reihen der SPD zurück: „Ich kann unsere Koalitionspartner nur dringend davor warnen, Erklärungen abzugeben, bevor sie die Papiere wirklich gelesen und durchdacht haben“, sagte Kubicki im WELT Nachrichtensender. Deutschland könne sich keinen weiteren Zuwachs im Sozialetat leisten und müsse mehr in Verteidigung investieren. „Wir wissen, dass wir unsere Steuermittel priorisieren müssen. Und wer dann sofort davon spricht, dass Überlegungen der Freien Demokraten dazu beitragen, die Koalition zu sprengen, der ist nicht von dieser Welt“, sagte Kubicki.

Kubicki findet es normal, dass die FDP innerhalb der Ampel eigene Punkte setzt – schließlich täten das SPD und Grüne auch: „Die Sozialdemokratie wird auch nicht müßig, jeden zweiten Tag neue Steuererhöhungen zu fordern oder die Schuldenbremse anzutasten. Das haben wir im Koalitionsvertrag ausgeschlossen, trotzdem machen die das jeden Tag“, sagte Kubicki. „Unsere grünen Freunde fordern jeden Tag ein Tempolimit. Also, zu erklären, die anderen dürften immer sagen, was sie wollen und wir müssen uns bescheiden, ist eine ziemlich komische Herangehensweise.“

An einen Koalitionsbruch glaubt Kubicki trotzdem eher nicht: „Ich glaube an die Vernunft auch unserer Koalitionspartner.“ Kubicki erinnerte daran, dass auch SPD und Grüne ohne die FDP keine Machtbasis hätten. Es sei eben „eine Koalition, die aus drei Partnern besteht, die nur zusammen eine Mehrheit haben“, sagte Kubicki.

Söder: „Scheidungsurkunde für die Ampel“

In der Union werten Spitzenpolitiker das Papier als mögliches Ende für die Ampel-Koalition. „Das ist nichts anderes als eine Scheidungsurkunde für die Ampel!“, sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder der „Bild am Sonntag“.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte: „Das Papier liest sich wie ‚Lambsdorff 2.0‘.“ Er spielte damit auf das Konzept des damaligen Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (FDP) in der sozialliberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) an. Das Papier aus dem Jahr 1982 machte eine Reihe von Vorschlägen für eine „Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ – und ist als „Scheidungsbrief“ in die Geschichte eingegangen. Wenige Tage später, am 1. Oktober 1982, wurde Helmut Kohl (CDU) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zum neuen Bundeskanzler gewählt.

Linnemann forderte: „Die FDP muss sich ehrlich machen. Entweder sie steigt aus der Ampel aus oder sie setzt einige notwendige Maßnahmen durch. Da sind einige Punkte drin, die man unter schwarz/gelb schnell umsetzen könnte.“

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