100 Jahre Günter Wöhe – was die BWL heute leisten muss

100 jahre günter wöhe – was die bwl heute leisten muss

Lernfach BWL: Internationale Austausstudenten and der Handelshochschule Leipzig, die als Wiege der Betriebswirtschaftslehre (BWL) gilt.

Auf dem Lehrbuchmarkt findet man nicht viele Bestseller, und selbst diese sind meistens nur so lange aktuell, wie ihre Autoren in der akademischen Welt aktiv sind. Aber es gibt Ausnahmen. Eine davon ist die von dem Saarbrücker Hochschullehrer Günter Wöhe 1960 erstmals publizierte „Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“, die inzwischen in der 28. Auflage von seinem Schüler Ulrich Döring gemeinsam mit Gerrit Brösel von der Fernuniversität Hagen weitergeführt wird. Mehr als 1,6 Millionen Exemplare hat der Vahlen-Verlag als Herausgeber verkauft, Übersetzungen ins Tschechische, Russische und sogar Chinesische lizenziert und den „Wöhe“ so zur Marke in der ökonomischen Lehrbuchliteratur aufgebaut.

Aber wie so oft entzündet sich am Erfolg auch Kritik, etwa von dem Wirtschaftsjournalisten Axel Gloger (1960 bis 2018) mit seinem Buchtitel „Betriebswirtschaftsleere“ genauso wie in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 6. Juni 2017). Denn Zuschnitt und Stoffauswahl im „Wöhe“ beziehen sich auf einen tradierten, gleichermaßen produktivitätsorientiert wie institutionell geprägten Zugang zum Fach.

Die Inhalte orientieren sich an klassischen Funktionen wie Betriebsaufbau, Produktion, Marketing, Investition, Finanzierung und Rechnungswesen. Für die moderne Forschung wichtige Querschnittsthemen wie Digitale Transformation, Methoden der Verhaltenswissenschaften oder Forschungsgebiete wie Entrepreneurship und Innovationsmanagement werden – jedenfalls nach dem Geschmack der Kritiker – gar nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Umfang behandelt.

Streitfrage: Sollt es die BWL als Fach überhaupt geben?

100 jahre günter wöhe – was die bwl heute leisten muss

Hinzu kommt, dass sich die wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre (BWL) zunehmend mit dem Anspruch einer „Allgemeinen“ Betriebswirtschaftslehre schwertut. Fachvertreter, die eine geschlossene theoretische Gesamtkonzeption fordern, reiben sich an der immer weiter zunehmenden inhaltlichen und methodischen Balkanisierung, also einer aus ihrer Sicht übertriebenen Ausdifferenzierung des Fachs. Gerade dies ist aber aus einer modernen, anwendungsorientierten und im internationalen Forschungswettbewerb erfolgreichen Betriebswirtschaftslehre nicht mehr wegzudenken. Der Wunsch nach einer ökonomischen Großtheorie, mit der die Eigenart betriebswirtschaftlicher Phänomene rekonstruiert und einer praktischen Gestaltung zugänglich gemacht wird, kann jedenfalls nicht mehr bedient werden.

Dass sich der Geburtstag Günter Wöhes, dem wohl erfolgreichsten deutschsprachigen Lehrbuchautor, am 2. Mai 2024 zum 100. Mal gejährt hat, ist deshalb ein guter Anlass, sich mit diesen Fragen noch einmal zu beschäftigen: Braucht das Fach tatsächlich eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, wenn ja, was zeichnet sie aus, und was leistet dann ein Einführungslehrbuch wie der „Wöhe“?

Hilfreich ist der Blick in die Entstehungszeit des Lehrbuchs. Bis zum zweiten Weltkrieg war die Betriebswirtschaftslehre als akademische Disziplin zwar eta­bliert, hatte sich aber gerade im deutschsprachigen Raum vor allem mit Fragen des Rechnungswesens beschäftigt sowie – angestoßen durch US-amerikanische Arbeiten zur wissenschaftlichen Betriebsführung – mit der Organisation von Produktion und Verwaltung. Erst ab den 1950er-Jahren legte der Kölner Hochschullehrer Erich Gutenberg (1897 bis 1984) mit den „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ ein mikroökonomisch fundiertes Konzept der Funktionen Produktion, Absatz und Finanzierung vor, um damit das Wirtschaften vor allem industrieller „Unternehmungen“, wie Gutenberg Betriebe bezeichnete, also für Bedarfe Dritter produzierende Akteure in einer Marktwirtschaft, theoretisch zu erfassen. Dadurch wuchs der Bedarf an einem Lehrbuch, das den wissenschaftlichen Zugang zum Fach mit dem vorhandenen institutionellen Wissen zur Lösung betriebspraktischer Fragen ergänzt: eine Lücke, die der „Wöhe“ im Jahr 1960 erstmals schloss.

100 jahre günter wöhe – was die bwl heute leisten muss

Der Klassiker: 23 Auflagen, 1,6 Millionen Exemplare, fast zwei Drittel Marktanteil

In den folgenden Jahrzehnten verbreiterte sich der theoretische Zugang zu betriebswirtschaftlichen Fragestellungen ganz immens. Auch wenn die Analyse eines zielgerichtet-rationalen und sinnhaft-intentionalen ökonomischen Handelns in Unternehmen heute immer noch den Brückenschlag zu den frühen betriebswirtschaftlichen Grundlagen erlaubt, hat die moderne Betriebswirtschaftslehre deren paradigmatische Enge überwunden und geht weit über eine formale und rein finanzorientierte Optimierung sozio-technischer Systeme hinaus.

Neue Impuluse für die Betriebswirtschaftslehre

So schaffen beispielsweise verhaltenswissenschaftliche Theorien nicht nur einen neuen Blick für das Verständnis scheinbar irrationaler Entscheidungs- und Steuerungsprozesse in Unternehmen, sondern tragen auch zu deren methodisch-handwerklicher Verbesserung bei. Die moderne Entrepreneurship-Forschung stellt systematische Erklärungsansätze bereit, wie unternehmerische Opportunitäten entdeckt beziehungsweise durch den Unternehmer selbst geschaffen werden – und das nicht allein mit dem Ziel der finanziellen Profitmaximierung, sondern gerade auch in Verbindung mit Beiträgen zur ökologischen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeit im Sinne von Social Entrepreneurship.

Und als drittes Beispiel sei die betriebswirtschaftliche Organisationslehre genannt. Sie erforscht heute, wie Unternehmen befähigt werden können, nicht nur bekannte Erfolgsmuster, etwa tradierte Produkt-Markt-Kombinationen, zu replizieren, sondern sich mit innovativen Ideen immer wieder neu zu erfinden. Durch diese Internalisierung einer „schöpferischen Zerstörung“ nach Joseph Schumpeter (1883 bis 1950), also dem regelmäßigen Wandel des eigenen Geschäftsmodells, lassen sich Krisen und Transformationsprozesse besser bewältigen.

In den USA hat die immense Vielfalt der betriebswirtschaftlichen Fragestellungen und Methoden schon früh dazu geführt, dass ein einheitliches Verständnis des Fachs – eben die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre – kaum Relevanz besitzt. An den dortigen Business Schools finden Forschung und ein großer Teil der Lehre in spezialisierten Departments wie Finance, Accounting, Strategy oder Marketing statt. Die fachliche Homogenität dieser Departments erlaubt zwar eine sehr hohe Effizienz innerhalb der jeweiligen Teildisziplin, gleichzeitig steht sie einem generalistischen Anspruch eher entgegen.

Gerade dieser ist aber für die Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Wissenschaft konstitutiv. Denn viele Fragestellungen in Unternehmen lassen sich nur aus dem Gesamtkanon der betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen heraus beantworten. Wenn es beispielsweise um die Umsetzung von Modellen der Kreislaufwirtschaft geht, betrifft dies nicht allein Produktion und Logistik. Neben geeigneten Marketing- und Vertriebsstrategien bis hin zum Aufbau ganz neuer Business-Ökosysteme muss die Finanzierung der erforderlichen Investitionen mitbedacht werden. Kennzahlen zur Prozesssteuerung, aber auch zur Berichterstattung am Kapitalmarkt müssen definiert, gesammelt, auditiert und berichtet werden, und das Personalmanagement muss Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter entwickeln und umsetzen.

BWL mit breitem Blickwinkel bleibt aktuell

Den notwendigen generalistischen Zugang zur Lösung solcher Fragestellungen leistet eine Betriebswirtschaftslehre, die wie im deutschsprachigen Raum üblich in breit ausgerichteten Fakultäten organisiert ist. Das zahlt nicht nur auf Forschungsexzellenz ein, was betriebswirtschaftliche Initiativen wie der von der DFG geförderte Forschungsverbund „Accounting for Transparency“ (TRR 266) unter Leitung der Paderborner Ökonomin Caren Sureth-Sloane oder das in die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) aufgenommene BWL-Datenkonsortium BERD belegen, sondern auch auf die Qualität der Ausbildung von Bachelor- und Master-Studierenden. Sie lernen durch einen von Anfang an umfassend angelegten Fachkanon, betriebswirtschaftliche Grundlagenforschung mit den Ergebnissen anwendungsorientierter Studien und konkretem fachpraktischem Wissen zu ergänzen, vernetzt zu denken und neuartige Problemstellungen in einem wenig strukturierten Umfeld zu lösen.

Eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, die als fachlicher Kern einen derart generalistischen Zugang ermöglicht, ist keineswegs passé, sondern vor dem Hintergrund technologischer, ökologischer und sozialer Herausforderungen für Unternehmen notwendiger denn je. Sie zeichnet sich gerade nicht durch einen monistischen Methodenkern aus, sondern bildet vielmehr eine Klammer um Unternehmen als Erfahrungsobjekt. Diese werden zwar auch von anderen Wissenschaften in den Blick genommen – man denke an die Technikwissenschaften, die Arbeits- und Organisationspsychologie oder die Wirtschaftssoziologie.

Aber in der Betriebswirtschaftslehre werden Unternehmen durch den disziplinären Fokus auf das produktive Heben von Synergien mithilfe organisationaler Kooperation zum Erkenntnisobjekt mit ökonomischer Relevanz. Jede der betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen nähert sich diesem gemeinsamen Erkenntnisobjekt aus einem eigenen Blickwinkel und formt so den professionellen Wissenskorpus zum Gesamtbild. Pointiert gesprochen ist die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre heute keine einzelne Vorlesung oder Lehrbuch mehr, sondern vielmehr eine fachliche Haltung.

Genau vor diesem Hintergrund müssen synoptische Lehrbücher wie der „Wöhe“ eingeordnet und gewürdigt werden. Ihre Leistung besteht vor allem in der sorgfältig kuratierten und gut verständlichen Zusammenstellung betriebswirtschaftlicher Instrumente und Praktiken als institutionelles Fundament, das bis heute in allen Unternehmen zu finden ist. Auf diese Weise lenken sie während des betriebswirtschaftlichen Studiums, aber auch für den Praktiker den Blick auf das Unternehmen als Ganzes und tragen so der generalistischen Perspektive einer Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre Rechnung.

Diese Aufgabe ist umso wichtiger, als sich betriebswirtschaftliche Institutionen in ihrer konkreten Ausgestaltung in Unternehmen nur selten aus ökonomischen Modellen ableiten lassen. Aber sie müssen eben richtig beschrieben und verstanden werden, damit sie theoriegeleitet verbessert und weiterentwickelt werden können. Diese Aufgabe wird die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft von und für Unternehmen auch in Zukunft angehen.

Barbara E. Weißenberger ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Controlling und Accounting, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie Mitglied im Präsidium der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V.

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