Wahlkampf in den USA: Die Demokraten setzen auf das Abtreibungsrecht

wahlkampf in den usa: die demokraten setzen auf das abtreibungsrecht

Kamala Harris am Montag auf einer Wahlkampfveranstaltung in Big bend in Wisconsin

Persönlich ist Joe Biden „kein großer Fan“ von Abtreibungen. So formulierte es der praktizierende Katholik im vergangenen Sommer. Als amerikanischer Präsident aber hat Biden das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu einem der Kernthemen für die angestrebte Wiederwahl im November gemacht. Am Montag stand seine Vizepräsidentin Kamala Harris auf einer Bühne in Wisconsin und sprach von „Extremisten“, die in den Vereinigten Staaten „die Zeit zurückdrehen“ wollten. „Aber wir lassen das nicht zu“, rief sie unter dem Applaus der Zuhörer.

Es war der Beginn einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen die Demokraten in den kommenden Monaten Stimmen gewinnen wollen – nicht nur bei ihren Kernwählern. Dabei war es kein Zufall, dass Harris am Montag ausgerechnet in Wisconsin aufschlug. Für Biden wird das Ergebnis dort im November mit entscheidend sein; 2020 gewann er den Bundesstaat im Mittleren Westen mit nur rund 20.000 Stimmen Vorsprung vor Donald Trump. Auch diesmal dürfte es knapp werden.

Laut Umfragen aus dem vergangenen Jahr sollen mehr als die Hälfte der Amerikaner dafür sein, dass Frauen Zugang zu Abtreibungen haben. Im Widerspruch dazu sind Schwangerschaftsabbrüche in 14 amerikanischen Bundesstaaten verboten und in sieben weiteren eingeschränkt, seitdem der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 die knapp fünfzig Jahre alte Grundsatzentscheidung zu Abtreibungen aufgehoben hat. Das betreffe jede dritte Frau im gebärfähigen Alter, sagte Harris am Montag in Wisconsin. Sie lebten in einer „schrecklichen Realität“.

Biden: Grundlegendes Recht entrissen

Seit der Entscheidung des Obersten Gerichts liegt es bei den fünfzig Bundesstaaten, über das Abtreibungsrecht zu entscheiden. Die Republikaner sind mehrheitlich für strengere Regelungen. Donald Trump äußerte jüngst, er sei „stolz“ darauf, mit den drei von ihm ernannten Richtern für den Obersten Gerichtshof zum Ende von „Roe v. Wade“ beigetragen zu haben. Präsident Biden wirbt dagegen für ein Bundesgesetz, das den Zugang zu Abtreibungen sichert. Weil das bei den derzeitigen Machtverhältnissen im Kongress chancenlos ist, konzentriert sich das Weiße Haus darauf, den Zugang zu Abtreibungen so weit wie möglich sicherzustellen und Ärzte vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen. Während Harris am Montag in Wisconsin sprach, traf Biden sich zum vierten Mal mit der Arbeitsgruppe „Reproduktive Gesundheit“. Man habe den Amerikanerinnen mit „Roe v. Wade“ ein „grundlegendes Recht entrissen“, sagte er vor dem Treffen.

Harris ließ während ihres Auftritts keinen Zweifel daran, wen die Demokraten für den Schuldigen halten. Trump habe drei Richter „handverlesen“, um „eure Freiheit einzuschränken“, sagte sie in ihrer Rede. Jetzt gebe der frühere Präsident noch damit an. Ob Trump stolz darauf sei, dass „junge Frauen weniger Rechte haben als noch ihre Mütter und Großmütter“, fragte Harris. „Und sie sind noch nicht fertig.“ Die Demokraten dagegen vertrauten darauf, dass Frauen, „Entscheidungen über ihren eigenen Körper“ treffen.

Ein am Wochenende veröffentlichtes Wahlkampfvideo der Biden-Harris-Kampagne hat eine ähnliche Botschaft. Die Werbung zeigt Austin Dennard, eine Frauenärztin und dreifache Mutter aus dem Bundesstaat Texas. Die Frau erzählt, sie sei auf „sehnlichsten“ Wunsch schwanger geworden, habe dann jedoch erfahren, dass der Fötus nicht lebensfähig sei. Trotzdem zwinge das Gesetz in Texas Frauen dazu, das Kind auszutragen. „Das ist wegen Donald Trump, weil er ‚Roe v. Wade’ gekippt hat“, sagt Dennard weiter. Man habe den Frauen die Entscheidungsfreiheit genommen. Deswegen brauche es Anführer wie Biden und Harris, die „unsere Rechte verteidigen, statt sie uns zu nehmen“.

Abtreibungsverbote als Vermächtnis Donald Trumps

Im Vergleich mit Deutschland ist das amerikanische Abtreibungsrecht über weite Strecken lockerer. Seit der Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1973 waren Abtreibungen in den Vereinigten Staaten möglich, bis der Fötus seine Lebensfähigkeit erreicht hat, also bis etwa zur 24. Woche. Seit die Bundesstaaten wieder darüber entscheiden, haben sich mehrere Staaten in Referenden für einen Schutz des Abtreibungsrechts durch die jeweilige Verfassung ausgesprochen, etwa Kansas, Kentucky und Ohio. Biden erinnerte am Montag daran, viele Amerikaner hätten „Versuche, die reproduktive Freiheit einzuschränken, entschieden zurückgewiesen“. Auch dass die Demokraten bei der Kongresswahl im Herbst 2022 trotz verheerender Umfragewerte überraschend gut abschnitten, lag mit am Fokus auf dem Abtreibungsrecht.

Seither hat das Team Biden und Harris das Thema noch mehr auf die Präsidentenwahl zugeschnitten: Sie stellen die zahlreichen Abtreibungsverbote nun als Vermächtnis Donald Trumps dar. Der republikanische Präsidentschaftsbewerber äußerte sich derweil jüngst etwas zurückhaltender zu Abtreibungen. Zwar bezeichnete er die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Vorwahlkampf in Iowa als ein „Wunder“. Trump sagte jedoch auch, man müsse einen Konsens finden, um „Wahlen zu gewinnen“, und fordert bislang kein bundesweites Abtreibungsverbot, sollte er wieder Präsident werden.

Im Kalender von Biden und Harris stand am Dienstag zum ersten Mal in diesem Wahljahr ein gemeinsamer Auftritt in Virginia – zum Recht auf Abtreibung. Man wolle hervorheben, was bei dieser Wahl „auf dem Spiel“ stehe, hieß es vorab. Für Harris, die erste Frau im Amt des Vizepräsidenten, dürfte das Thema auch eine Gelegenheit sein, ihre Position bei den Wählern zu verbessern. In Umfragen ist sie mitunter noch unbeliebter als der Präsident selbst. Das könnte für Biden zur Gefahr werden. Viele Wähler äußern Besorgnis wegen seines Alters, und sollte ihm etwas zustoßen, wäre Harris die nächste in der Reihe. Die wiederum nimmt bei diesem Thema im Gegensatz zu Biden das Wort „Abtreibung“ auch wirklich in den Mund.

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