Wer ist Nikolai Patruschew?: Gefährlicher als Putin ist sein engster Berater

Er gehört seit drei Jahrzehnten zum engsten Kreis um Wladimir Putin: Experten erklären, wer Nikolai Patruschew ist, wie viel Macht er hat – und was ihn so gefährlich macht.

wer ist nikolai patruschew?: gefährlicher als putin ist sein engster berater

Nikolai Patruschew (rechts) ist seit mehr als drei Jahrzehnten an der Seite Wladimir Putins.

Nikolai Patruschew ist kein Mensch, der die Öffentlichkeit besonders sucht. Die Aura der Undurchsichtigkeit umgibt den 72-Jährigen von Amts wegen: Er ist der Sekretär des russischen Sicherheitsrates.

Im Westen ist Patruschew kaum bekannt, in Moskau dagegen sagen viele, er sei der zweitmächtigste Mann Russlands, der Einflüsterer des ein Jahr jüngeren Präsidenten Wladimir Putin, dessen „böser Geist“.

Manche halten ihn auch für den Nachfolger, sollte an den zahllosen Gerüchten über den Gesundheitszustand Putins am Ende doch etwas dran sein. Patruschew als Präsident Russlands wäre das Ende der Hoffnung, dass nach dem Abgang des Diktators Putin ein Tauwetter in den Beziehungen zum Westen einsetzen könnte.

Patruschew ist der oberste Henker Russlands.

Michail Schischkin, Schriftsteller, Autor des Buches „Mein Russland. Krieg oder Frieden?“

Bemerkenswert war die ungewöhnlich ausführliche Berichterstattung, die in russischen Medien kürzlich eine Visite Patruschews im Gebiet Archangelsk im Norden Russlands erhielt. Der Sekretär wurde empfangen, als wäre er Putin selbst.

Die regionalen Größen hatten zum Empfang der Direktiven aus dem Kreml anzutreten. In strategisch wichtigen Betrieben, beispielsweise einer Schiffswerft, wurde Patruschew vorgeführt, wie die Umstellung der russischen Wirtschaft auf den Krieg gegen die Ukraine gelungen ist.

Der Herr über die Sicherheitsorgane

Es mache ihm Sorge, dass in letzter Zeit Putin vor allem Patruschew zuhöre, sagte der renommierte Russland-Experte Mark Galeotti kürzlich in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. „Neben diesem Falken wirkt selbst Putin wie eine Taube.“

Noch direkter wird der Schriftsteller Michail Schischkin: „Patruschew ist der oberste Henker Russlands“, sagte er dem Tagesspiegel.

Das Lebenselixier des Regimes seien Angst und Einschüchterung, erklärt Schischkin. „Das Rückgrat der Diktatur ist die Geheimpolizei. Wer diese Struktur kontrolliert, hat die Macht im Lande. Das ist Patruschew.“ Der Sekretär des Sicherheitsrates und frühere Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB koordiniert die Arbeit aller Sicherheitsorgane, des Militärs und der Nationalgarde, der Geheimdienste sowie des Innenministeriums.

Putin hat die meisten von denen, die ihn vor einem Vierteljahrhundert zum Zaren gemacht haben, längst aus seiner Umgebung entfernt. Einer der wenigen, die bis heute an der Seite des Kreml-Chefs stehen, ist Nikolai Patruschew. Er begann seine Karriere im Leningrader Gebiet, wo auch Putins Laufbahn startete.

In den 1990er-Jahren war Patruschew für die Bekämpfung von Korruption und Schmuggel in St. Petersburg zuständig. Doch die Recherchen der US-Politologin Karen Dawisha in dem Buch „Putin’s Kleptocracy“ legen nahe, dass es gemeinsam mit dem Vizebürgermeister Putin um den Aufbau einer Kooperation zwischen Stadtverwaltung und organisiertem Verbrechen gegangen sein könnte.

„Patruschew hat als Leiter des Inlandsgeheimdienstes FSB die ersten beiden Amtszeiten von Putin begleitet“, erklärt Alexey Yusupov, Leiter der Russland-Programme der Friedrich-Ebert-Stiftung. „Er hat also sowohl den zweiten Tschetschenienkrieg als auch die Zeit der Explosionen in Wohnblocks in mehreren russischen Städten aus einer Spitzenposition mit geheimem Herrschaftswissen gemanagt“.

1999 hatte es eine Serie von Sprengstoffanschlägen in russischen Häusern gegeben, bei denen mehr als 300 Menschen ums Leben kamen. Die Terroranschläge waren Anlass für den zweiten Tschetschenienkrieg. Es deuteten jedoch rasch Indizien darauf hin, dass der Geheimdienst FSB verstrickt sein könnte. Patruschew hatte gerade die Leitung übernommen.

Viel könne man darüber nicht sagen, verlässliche Informationen für die Öffentlichkeit gebe es bis heute nicht, gibt Yusupov zu. Dieser Krieg und eine Terroristenjagd waren es jedenfalls, die den bis dahin unbekannten Wladimir Putin „präsidiabel“ machten.

Immer scheint es eine Spur zu Patruschew zu geben

Wo auch immer sich später Tragödien in Russland abspielten – immer schien es eine Verbindung zu Patruschew zu geben. Als 2002 die Sicherheitskräfte eine Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater unter Einsatz von Kampfgas beendeten, soll der Befehl von Patruschew gekommen sein. 130 Geiseln starben.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben seine Position und seine Nähe zu Wladimir Putin einen Einfluss auf die Invasionsentscheidung gehabt.

Alexey Yusupov, Leiter der Russland-Programme der Friedrich-Ebert-Stiftung, über den Einfluss Patruschews auf den Ukrainekrieg

Bei einer Geiselnahme zwei Jahre später stürmten Spezialeinheiten eine Schule im nordkaukasischen Beslan. Wieder ohne Rücksicht auf Verluste. 331 Geiseln starben, die meisten von ihnen Kinder. „Die Vergiftung der Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko in London und Sergej Skripal in Salisbury, die Vergiftung von Alexej Nawalny und die Ermordung von Jewgeni Prigoschin – all das sind Spezialoperationen, die von Patruschew vorbereitet wurden“, ist Schischkin überzeugt.

Keine Einblicke in die Arbeit des Sicherheitsrates

Seit 2008 ist Patruschew Sekretär des Sicherheitsrates. Dort sei er, wie eine russische Zeitung aus Anlass seines 70. Geburtstages schrieb, der „Waffenträger“ Putins. Seine Rolle in Putins Machtsystem ist auch deshalb undurchsichtig, weil niemand außerhalb eines sehr engen Kreises im Kreml weiß, wie der russische Sicherheitsrat überhaupt funktioniert und seine Entscheidungen trifft. Eine seiner Tagungen war öffentlich: Die Sitzung, in der Putin den Beginn des Krieges gegen die Ukraine verkündete.

Doch da kam den Versammelten lediglich die Aufgabe zu, den Präsidenten loyal und entschieden zu unterstützen. Die meisten schienen, nach der TV-Aufzeichnung zu urteilen, im Vorfeld nicht informiert worden zu sein. Auch Patruschew wirkte wenig vorbereitet.

Das kann jedoch kaum sein. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben seine Position und seine Nähe zu Wladimir Putin einen Einfluss auf die Invasionsentscheidung gehabt“, ist Yusupov überzeugt. Obwohl vom Westen mit Sanktionen belegt, schienen Patruschews Kontakte zu den Geheimdienstkreisen der USA noch eine Zeit lang nach Kriegsbeginn in Takt. Er telefonierte mit Biden-Berater Jake Sullivan, verlangte, die USA sollten Kiew zur Kapitulation nötigen.

Patruschew wurde in der Vergangenheit oft als möglicher Nachfolger Putins gehandelt. Dass die Macht dann mindestens vorübergehend an den Sekretär des Sicherheitsrates übergeht, ist nicht ausgeschlossen.

Als Kandidat für das höchste Staatsamt wird in Moskau längst aber auch ein anderer Patruschew gehandelt: Dmitri Patruschew. Der 46-Jährige bekleidet gegenwärtig das wenig prestigeträchtig scheinende Amt des Landwirtschaftsministers. Dmitri Patruschew ist der älteste Sohn des „bösen Geistes“.

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