Von hier herab kann die Demokratie künstlerisch propagiert werden: Am 3. März gibt es der Bayerischen Staatsoper ein Gesprächskonzert zum Thema.
Hundertausende ziehen derzeit in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung zu demonstrieren. Und für Demokratie. Gleichzeitig werden neuntausend Kilometer weit von den Protesten entfernt in Los Angeles die Grundwerte der demokratischen Gesellschaft diskutiert – und gehört. Das Thomas Mann House (TMH), ehedem Exilheim des Schriftstellers und heutiges Residenzhaus der Bundesrepublik Deutschland, lädt zum Konzert mit Diskussion ein.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung, die den Auftakt zu einer Reihe namens „Demokratie und Oper“ bildet. die vom TMH zusammen mit Partnerinstitutionen in den Vereinigten Staaten und Deutschland veranstaltet wird, steht jene Kunstform, die auch Thomas Mann so sehr liebte. Oper und ihre vierhundertjährige Geschichte werden auf den Prüfstand gestellt: Wie vielfältig und zugänglich ist diese Kunstform? Welche Möglichkeiten hat sie, mit ihrem elitären Ruf zu brechen? Welches Potential steckt in ihr für eine vielstimmige Demokratie?
Gespräch über den Stutzflügel hinweg, an dem nun auf der Tagung im Thomas Mann House musiziert wurde: Thomas Mann (links) und Bruno Walter (rechts) in Pacific Palisades, wohl 1947
Ein Leben für das Gemeinwohl
Die transatlantische Gesprächs- und Konzertreihe, zusammengestellt von dem Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller, derzeit Fellow am TMH, verbindet also Geschichte mit der Gegenwart. Sie soll zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem politischen Weltgeschehen seit jeher in der Oper mitschwingt. Dabei wird insbesondere an die Krolloper in Berlin erinnert: als der Kulturinstitution in den Zwischenkriegsjahren, die wie kaum eine andere von der Idee getragen wurde, Oper für alle und für jeden Tag zu sein.
Als Sitz des deutschen Parlaments nach dem Reichstagsbrand war sie aber auch der Ort, an dem 1933 die Demokratie durch das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten zu einem Ende kam. Zur damals erzwungenen Schließung des Spielbetriebs sagt der Krolloper-Leiter Otto Klemperer: „Sie mögen unser Opernhaus schließen, doch die Idee können sie nicht töten.“
Es ist ebendiese Idee von Kunst und Kultur, die den Kampf um demokratische Werte vorantreibt und das Programm der Veranstaltung im TMH bestimmt. Den Auftakt bildet Bertolt Brechts und Kurt Weills „Der Ja-Sager“. Die Oper erzählt von der gefährlichen Forschungsreise eines Lehrers zu „den großen Ärzten“. Ein Knabe möchte ihn begleiten, da seine Mutter krank ist und Medikamente benötigt. Es wird ihm erlaubt, denn: „Viele sind einverstanden mit Falschem, aber er ist nicht einverstanden mit der Krankheit.“ Doch der Knabe selbst wird auf der Reise krank. Die Gemeinschaft muss sich entscheiden: Kehrt man gemeinsam um, ohne die Weisheiten der „großen Ärzte“ zu erfahren, oder zieht man weiter und stürzt zum Wohle der anderen den Geschwächten in das Tal? Als Teil der Reisegruppe muss auch der Knabe mitentscheiden, ob er sein Leben für das Gemeinwohl opfert. Er sagt: ja.
Wie politisch wirksam kann die Oper sein?
Das Stück fragt nach der wechselseitigen Verantwortung zwischen einer Gesellschaft und ihren Mitgliedern. Welchen Wert hat das Individuum in einem Kollektiv? Wie viel Freiraum existiert für selbstbestimmtes Handeln, und wie viel davon sollte existieren, um das Gemeinwohl zu wahren?
Die Podiumsdiskussion nähert sich der politischen Wirkmacht der Oper, fragt aber auch danach, ob das „Ja“ uneingeschränkt der Institution Oper entgegengebracht werden sollte. Die Musikwissenschaftlerinnen Kira Thurman und Daniela Smolov Levy, Alex Ross, der Musikkritiker des „New Yorker“, und Kai Hinrich Müller erörtern Brüche und Spannungen der Oper als Kunstform, etwa die Unterrepräsentation von weiblichen und schwarzen Komponisten. Dabei zeigen sie auf, dass die Oper Teil der Gesellschaft ist und somit auch in ihr demokratische Grundwerte kontinuierlich bearbeitet und erweitert werden müssen.
Der zweite Teil der Veranstaltung wird von dem Dresdner Cellisten Jan Vogler und der Pianistin Umi Garrett beschritten. Gespielt wird auf einem Stradivari-Cello aus der „goldenen Periode“ des Instrumentenbauers und jenem Stutzflügel Manns, den schon Adorno nutzte, um dem Schriftsteller bei dessen Arbeit am „Doktor Faustus“ die jüngste Musiktheorie näherzubringen. Es erklingt eine Auswahl an Stücken, die sichtbare und unsichtbare Musikgeschichten verbindet. Denn neben Bach, Schuhmann und Wagner, deren Musik Mann besonders schätzte, sind es Werke zweier unbekannter Komponisten, die das Publikum im TMH bewegen: Edmond Dédé und Lily Reiff.
Zwei Komponisten-Entdeckungen
Der 1823 in New Orleans geborene afroamerikanische Dédé arbeitete tagsüber als Zigarrenmacher und komponierte nachts. Ende des neunzehnten Jahrhunderts war er vor dem amerikanischen Rassismus ins Pariser Exil geflohen, fand aber auch dort keine öffentliche Anerkennung. Sein 1852 geschriebenes Stück „Mon Pauvre Cœur“ thematisiert die Liebe und die mit ihr verbundene Sehnsucht, die stets in Schmerz umzuschlagen droht. Erst vor wenigen Jahren wurde Dédés bis dahin unbeachtetes Archiv entdeckt.
Auch die 1866 in Bamberg geborene Lily Reiff fand keine Anerkennung. Thomas Mann widmete ihr und ihrem Zürcher Gatten Hermann Reiff zwar eine Passage in „Doktor Faustus“, doch das kompositorische Genie von Lily Reiff wird dort nicht erwähnt. Im Gegensatz zum „liberalen Frohsinn“ des Ehemannes, so schreibt Mann, „ermangelte [Lily Reiff] seines Humors“. Dabei kann jeder Zuhörer das Gegenteil feststellen, als Vogler und Garrett virtuos ein Exzerpt aus „Pucks Liebeslied“ spielen. Reiffs Oper erzählt in ihrer ausgefeilten Partitur von der vollkommenen Liebe eines Paares – die derart vollkommen ist, dass sich der Mann langweilt, wie er laut ausruft, worauf die Frau versehentlich niest. Ein großer musikalischer Spaß.
An jenem Ort, wo der in Deutschland abgetötete demokratische Geist durch die vor den Nationalsozialisten geflohenen Künstlern und Intellektuellen seinerzeit weiterleben konnte, werden nun abermals Rechte und Pflichten der Zivilgesellschaft in den Blick genommen. Sie spiegeln sich auch in Geschichte und Gegenwart der Oper wider und zeigen, dass es nicht reicht, Demokratie zu erleben. Demokratie muss belebt werden mit Vielfalt, Vielstimmigkeit und Inklusion. Fortgesetzt wird die Konzert- und Gesprächsreihe in diesem Jahr noch in München, New York, Dresden, Providence, Berlin und Hamburg
Sophie-Charlotte Opitz ist Fellow am Thomas Mann House in Pacific Palisades..
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