Waren Gefangene an Bord?

Nach dem Flugzeugabsturz in Belgorod machen fragwürdige Beweise die Runde. Zwischen Russland und der Ukraine tobt ein heftiger Informationskampf.

waren gefangene an bord?

Absturz im russisch-ukrainischen Grenzgebiet: Das russische Militärflugzeug Il-76 ist zum Sinnbild des Informationskriegs zwischen Russland und der Ukraine geworden.

Ein russisches Militärflugzeug, abgeschossen nahe der Grenze zur Ukraine, mehrere Tote – die Fakten im Fall des abgestürzten Transportfliegers Iljuschin-76 sind noch immer rar. Ob wirklich Kriegsgefangene an Bord waren, ist weiter unklar, wie so vieles rund um den Absturz von Belgorod. Umso erbitterter ist der Informationskrieg, der seither zwischen Russland und der Ukraine tobt.

Russische Staatsmedien haben ihre Propagandamaschinerie in Gang gesetzt – kremlkritische, ukrainische Stimmen halten dagegen. Angaben der Ministerien gegen Mitteilungen der Geheimdienste, Meldungen der Staatsmedien gegen Recherchen unabhängiger Medien. Das abgestürzte Flugzeug ist zum Sinnbild geworden, wie der russische Angriffskrieg nicht nur in den Schützengräben ausgefochten wird, sondern auch im digitalen Raum.

Die mutmasslich toten Gefangenen waren schnell gezählt

Es begann am Mittwoch: Fast sofort nach Bekanntwerden des Absturzes bestätigte das russische Verteidigungsministerium den Verlust des Flugzeugs. Normalerweise schweigt das Ministerium zu solchen Ereignissen, doch kurze Zeit später war der Schuldige, die Ukraine, gefunden. Auch der Gouverneur von Belgorod zögerte nicht und behauptete, alle Passagiere seien tot. Die Rede war von 74 Menschen, darunter 65 ukrainische Kriegsgefangene.

Es dauerte nicht lange, da machten fragwürdige «Beweise» die Runde, darunter eine Liste der angeblichen Kriegsgefangenen an Bord, verbreitet von Margarita Simonjan, Chefpropagandistin Russlands. Und es dauerte nicht lange, bis unabhängige Medien Fehler in der Liste feststellten. Die im Exil arbeitende «Nowaja Gaseta» meldete, dass mindestens einer der aufgeführten Gefangenen bereits ausgetauscht worden sei. Weitere Quellen gehen von 17 schon ausgetauschten Personen aus. Behaupten, widerlegen – das kriegstypische Pingpong lief auf Hochtouren. Auch merkten Beobachter an, dass ein Transport von 65 Gefangenen bei nur neun Begleitern äusserst ungewöhnlich sei.

Da war von ukrainischen Offiziellen noch nicht einmal bestätigt, dass der Transportjet Kriegsgefangene transportiert haben könnte.

Ukraine reagierte auffallend zurückhaltend

Nun ist es nicht oft so, dass offizielle Stellen, egal von welcher Seite, derartige Anschuldigungen schnell widerlegen. Doch die Reaktionen der Ukraine waren auffällig zurückhaltend. Über Stunden verwies der Militärgeheimdienst darauf, dass man die Angelegenheit prüfe. Ein Gefangenenaustausch sei geplant gewesen, hiess es dann. Aber die Ukraine sei nicht, wie bei Austauschen üblich, über den Flug informiert worden. Sonst hätte sie den Luftraum entsprechend gesichert.

waren gefangene an bord?

Ein russischer Ermittler an der Absturzstelle: Russischen Angaben zufolge sollen 65 Kriegsgefangene nach Belgorod geflogen worden sein, um ausgetauscht zu werden. Eine ukrainische Bestätigung dafür gibt es nicht.

Das spielte Moskau zurück: Der militärnahe Duma-Abgeordnete Andrei Kartopolow behauptete, 15 Minuten vor dem Einflug der Maschine in das Grenzgebiet Belgorod seien die Ukrainer informiert worden. Belege dafür lieferte er nicht.

Kiew meldete, dass Austausch geplatzt sei

Vergleichsweise spät teilte Kiew mit, dass ein solcher Gefangenenaustausch geplatzt sei. Da war die Nachricht der Katastrophe mit angeblich 65 toten ukrainischen Kriegsgefangenen aber schon in der Welt.

Dass die russische Seite nun auf die Ukraine zeigt, ist für Kiew heikel. Ob wahr oder nicht, Zweifel an der ukrainischen Militärführung könnten wachsen. Und das in einer Zeit, in der die ukrainische Bevölkerung ohnehin kaum militärische Erfolge von der Front hört und eine Mobilisierungsdebatte das Land aufwühlt. Das Thema der Kriegsgefangenen ist hochemotional. Mehr als 8000 Ukrainer – unter ihnen mehr als 1600 Zivilisten – sind derzeit gemäss ukrainischen Angaben in russischer Gefangenschaft. In dieser Lage setzt Moskau alles daran, Zweifel und Spaltung zu säen. Das ist seit je Ziel russischer Propaganda.

Der Druck auf Kiew wächst

Zugleich wächst der Druck auf Kiew zu reagieren. Eine Gratwanderung. Die Ukraine kann die russische Propaganda nicht ignorieren. Um sie allerdings zu widerlegen, muss sie die Aussagen aufgreifen und verbreitet sie so weiter.

Unterdessen behauptete Andri Jusow, der Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdiensts, russische Militärs und Politiker hätten eigentlich an Bord der Il-76 sein sollen. In letzter Minute habe der russische Geheimdienst FSB sie vom Flug abgezogen. Auch das ist nicht überprüfbar, wie so vieles im Krieg der Informationen. Jusow sagte noch etwas, das aufhorchen liess: Russland hätte ukrainische Kriegsgefangene als menschliche Schutzschilde benutzen können, um Waffen in dem Flugzeug zu transportieren. Waren also doch Gefangene an Bord?

Nach wie vor sind die angeblich toten Kriegsgefangenen nicht geborgen. Fünf Verstorbene sollen von der Absturzstelle abtransportiert worden sein. Die russischen Behörden dementieren, sie hätten keine Rettungskräfte zum Ort vorgelassen. Zugleich lassen Aufnahmen der Absturzstelle Beobachter an einer hohen Opferzahl zweifeln. Dafür seien zu wenig menschliche Überreste gesichtet worden.

Ein Flugschreiber und ein Stimmenrekorder sollen an der Absturzstelle gefunden worden sein, ob diese, in russischem Besitz, verlässliche Erkenntnisse liefern, bezweifeln Beobachter. Der ukrainische Geheimdienst SBU hat ebenfalls Ermittlungen eingeleitet. Präsident Wolodimir Selenski forderte noch am Abend nach dem Absturz eine internationale, unabhängige Untersuchung des Falls. Die Ukraine will sich an die UNO und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wenden. Kremlsprecher Dmitri Peskow reagierte lakonisch: eine internationale Untersuchung sei nötig. Auch das ist Teil der Erzählung: Der Kreml verweigere sich nicht. Bislang aber lässt Russland unabhängige Ermittler nicht zu, etwa auch zu Gräueltaten in den besetzten ukrainischen Gebieten.

waren gefangene an bord?

Das Transportflugzeug Iljuschin-76 wurde in der Sowjetunion entwickelt und wird nach wie vor in Russland gebaut.

Nicht im Ansatz geklärt, wer den Flieger attackierte

Nicht im Ansatz geklärt ist, wer die Maschine, deren Trümmer deutliche Einschusslöcher aufweisen, vom Himmel geholt hat. Zwar greift die Ukraine häufig russische Ziele in dieser Grenzregion an, dort kommt auch die Luftabwehr zum Einsatz. Ein französischer Sender berichtete am Donnerstag denn auch unter Berufung auf Militärquellen, dass die Il-76 infolge eines Angriffs der ukrainischen Abwehr abgestürzt sei. Doch auch das lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Und: Auch ein Abschuss durch die Russen ist weiterhin nicht ausgeschlossen.

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