Aufruf gegen Rechtsextremismus – „damit das Interesse an Deutschland bestehen bleibt“

Die Debatte über den Umgang mit der AfD hat Deutschlands Krankenhäuser erreicht. Die Universitätskliniken rufen dazu auf, Haltung gegen Rechtsextremismus einzunehmen. Der Verbandschef erklärt, warum man sich um die Internationalität der Medizin sorgt und welche Folgen AfD-Wahlerfolge könnten.

aufruf gegen rechtsextremismus – „damit das interesse an deutschland bestehen bleibt“

Auch Deutschlands Krankenhäuser hat die Kontroverse um die AfD erreicht. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands hat öffentlich dazu aufgerufen, Haltung gegen Rechtsextremismus einzunehmen. Jens Scholz, Vorsitzender des Verbands und Vorstandschef des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, erklärt im Interview mit WELT, warum er zum Schulterschluss gegen demokratiefeindliche Kräfte aufruft und welche Auswirkungen Wahlerfolge der AfD auf Universitätskliniken haben könnten.

WELT: Herr Scholz, der Verband der Universitätsklinika Deutschlands stellt sich in einem Aufruf explizit gegen demokratiefeindliche und rechtsextreme Kräfte. Warum starten die Universitätsklinika diesen Aufruf?

Jens Scholz: Internationalität liegt in der DNA von Universitätskliniken. Allein im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein arbeiten mehr als tausend Menschen aus 120 Nationen. Auch in der Forschung leben wir vom wissenschaftlichen Austausch mit anderen Nationen. Es gibt keine Forschung, die nicht auf Internationalität ausgerichtet ist. Deshalb schließen wir uns nach der Devise „Wehret den Anfängen“ den Rufen nach Haltung gegen Rechtsextremismus an.

WELT: Haben Sie denn bereits Probleme bei der Personalrekrutierung aufgrund der prognostizierten Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD)?

Scholz: Wir haben sehr viele Bewerbungen. Ich kann deshalb nicht sagen, ob der eine oder andere – gerade in der Forschung – sich bereits überlegt, ob er überhaupt noch nach Deutschland gehen will. Aber so weit darf es gar nicht erst kommen. In den Pflegeberufen können wir pro Jahr zurzeit maximal 150 Pflegekräfte an das Universitätsklinikum nach Schleswig-Holstein holen, da wir auch entsprechende Anerkennungskurse für die Leute durchführen müssen und die entsprechenden Plätze begrenzt sind. Wir wollen uns so gut kümmern, dass die neuen Arbeitskräfte, die wir dringend benötigen, um die Krankenversorgung zu gewährleisten, sich willkommen fühlen und bleiben.

aufruf gegen rechtsextremismus – „damit das interesse an deutschland bestehen bleibt“

Jens Scholz, Vorsitzender des Verbands der Universtitätsklinika Deutschland VUD // PRESSE

WELT: Wahlprognosen sagen der AfD vor allem in den neuen Bundesländern hohe Stimmenzugewinne voraus. Müssen Universitätskliniken in diesen Bundesländern besonders um ihre Internationalität fürchten?

Scholz: Eine Universitätsklinik kann ohne internationalen Austausch nicht überleben. Das gilt für alle Bundesländer. Wir starten diesen Aufruf, Haltung gegen Rechtsextremismus zu zeigen, damit dieses Interesse an Deutschland und unseren Kliniken bestehen bleibt. Bevor Rückgänge von Pflegekräften, der Ärzteschaft oder in der Forschung erkennbar werden, wenn rechtsextremistische Kräfte weiter zulegen, ist es notwendig, dass die viel zitierte schweigende Mehrheit sich jetzt zu Wort meldet und sagt, es reicht.

WELT: Ist Ihr Bekenntnis zur Stärkung der Demokratie als einmaliger Aufruf zu verstehen oder hat der Verband der Universitätsklinika vor, weitere Aktionen zu setzen?

Scholz: Wir haben uns bereits in der Vergangenheit sehr deutlich positioniert und unsere Werte der Solidarität bei mehreren aktuellen Konflikten umgesetzt. Allein das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein hat rund 5000 Patienten aus der Ukraine versorgt und etwa sechs Millionen Euro an Spenden für die Ukraine gesammelt. Zudem stehen wir in einem sehr intensiven Austausch mit Ärzten und Pflegekräften aus der Ukraine und organisieren regelmäßig Hilfslieferungen an die dortigen Krankenhäuser. Auch zu Israel unterhalten die Universitätskliniken sehr enge Kontakte und wir haben uns nach dem terroristischen Angriff vom 7. Oktober solidarisch gezeigt und unsere Hilfe angeboten.

WELT: Wurden denn Verletzte aus Israel nach Deutschland geflogen?

Scholz: Nach dem Terrorangriff auf Israel war das nicht notwendig, da die Kliniken in Israel ausreichend Kapazitäten hatten. Im Unterschied zur Ukraine ist die medizinische Infrastruktur des Landes ja vollkommen intakt. In der Ukraine sind hingegen zahlreiche Krankenhäuser zerstört, Operationen finden teils in Kellern statt. Deshalb haben wir hier auch konkret medizinisch geholfen.

WELT: Gibt es auch Hilfeleistungen von deutschen Universitätsklinika für Verletzte im Gazastreifen?

Scholz: Bei einer Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobt man, sein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot des Handelns sein. Selbstverständlich helfen wir Menschen zu versorgen, die in Krisen- und Kriegsgebieten verletzt werden. Auch hier gilt der ethische Grundsatz, dass ohne Ansehen der Person, bei kranken Menschen immer eine Behandlung durchgeführt wird. Dieses Grundprinzip gilt für Ärzte in jeder Region dieser Welt. Und – das Gesundheitspersonal, egal wo auf der Welt, hat die volle Solidarität der Universitätsmedizin. Wir sind dem Schutz von menschlichem Leben verpflichtet und beeindruckt von allen Personen, die sich selbst unter widrigsten Umständen für dessen Erhalt einsetzen. Solidarität mit einer Gruppe darf insofern nicht als Unsolidarität mit einer anderen verstanden werden.

WELT: Ist das Engagement Ihres Verbands gegen rechtsextreme Kräfte auch der Geschichte der Medizin geschuldet, die im Nationalsozialismus eine besonders tragende Position eingenommen hat?

Scholz: Es geht uns vor allem um den freien Meinungsaustausch. Denn dieser ist der Kern von Wissenschaft. Die Hauptmotivation zu unserem Aufruf ist, dass wir herausstellen wollen, dass nur in demokratischen Strukturen ein freier Austausch von Meinungen stattfinden kann. Das ist eine Lehre aus der Vergangenheit. Es ist in einer Demokratie auch möglich, dass Rechtsradikale uns Demokraten beschimpfen. Das lässt eine Demokratie ausdrücklich zu. Die Wissenschaft lebt davon, unterschiedlichen Meinungen Gehör zu geben. Nur durch diesen Austausch und das Lernen sowie die Weitergabe des Wissens bleiben wir zukunftsfähig und können weiterhin einen Beitrag zu den gesellschaftlichen Herausforderungen leisten. Deshalb ist es so notwendig, unsere Demokratie zu verteidigen.

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